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Grete Lihotzky, „Rationalisierung im Haushalt” (1926-27)

Die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) schrieb mit ihrem Entwurf der Frankfurter Küche Designgeschichte. Ab 1926 war sie am Frankfurter Hochbauamt tätig, wo sie im Rahmen des als „Neues Frankfurt“ bekannten Stadtplanungsprogramms an der Entwicklung des neuen Wohnbaus beteiligt war, der die akute Wohnungsnot in der Stadt während der 1920er Jahre behob. Die von ihr entworfene Küche, welche die modernen Gestaltungsprinzipien von Funktionalität und Standardisierung vereinte, war zuerst auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1927 ausgestellt und wurde später in verschiedenen Varianten in zahlreichen Frankfurter Wohnsiedlungen eingebaut. Dieser Artikel entstammt der Zeitschrift Das Neue Frankfurt. Monatsschrift für die Fragen der Großstadt-Gestaltung, die von 1926 bis 1933 erschien und zu einem wichtigen Medium zeitgenössischer Architektur- und Gestaltungstheorie wurde. Lihotzky führte ein bewegtes Leben, das sie 1930 nach Moskau und später unter anderem nach London, Paris, Istanbul und Sofia führen sollte. Sie engagierte sich in Wien im kommunistischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten und entging 1942 nur knapp der Hinrichtung.

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Rationalisierung im Haushalt


Jede denkende Frau muß die Rückständigkeit bisheriger Haushaltführung empfinden und darin schwerste Hemmung eigener Entwicklung und somit auch der Entwicklung ihrer Familie erkennen. Die Frau, an die das heutige hastige Großstadtleben weit höhere Ansprüche stellt, als das beschauliche Leben vor 80 Jahren, ist dazu verdammt, ihren Haushalt, einige wenige Erleichterungen ausgenommen, noch immer so zu führen wie zu Großmutters Zeiten.

Das Problem, die Arbeit der Hausfrau rationeller zu gestalten, ist fast für alle Schichten der Bevölkerung von gleicher Wichtigkeit. Sowohl die Frauen des Mittelstandes, die vielfach ohne irgend welche Hilfe im Hause wirtschaften, als auch die Frauen des Arbeiterstandes, die häufig noch anderer Berufsarbeit nachgehen müssen, sind so überlastet, daß ihre Überarbeitung auf die Dauer nicht ohne Folgen für die gesamte Volksgesundheit bleiben kann.

Schon vor mehr als 10 Jahren haben führende Frauen die Wichtigkeit der Entlastung der Hausfrau vom unnötigen Ballast ihrer Arbeit erkannt und sich für zentrale Bewirtschaftung von Häusern, d. h. für Errichtung von Einküchenhäusern eingesetzt. Sie sagten: warum sollen 20 Frauen einkaufen gehen, wenn eine dasselbe für alle besorgen kann? Warum sollen 20 Frauen in 20 Herden Feuer machen, wenn auf einem Herd für alle gekocht werden kann? Warum sollen 20 Frauen für 20 Familien kochen, wenn doch bei richtiger Einteilung 4-5 Personen dieselbe Arbeit für 20 Familien besorgen können? Diese jedem vernünftigen Menschen einleuchtenden Erwägungen haben bestochen. Man baute Einküchenhäuser.

Bald aber zeigte sich, daß man 20 Familien nicht so ohne weiteres in einen Haushalt vereinigen kann. Abgesehen von persönlichem Gezänk und Streit, sind starke Schwankungen in der materiellen Lage der verschiedenen Bewohner unvermeidlich, weshalb der Zusammenschluß mehrerer Familien notwendig zu Konflikten führen muß. Für Arbeiter und Privatangestellte aber, die in verhältnismäßig kurzer Zeit arbeitslos werden können, scheidet das Einküchenhaus von vornherein aus, da der Arbeitslose seine Lebenshaltung nicht soweit herabdrücken kann, als für ihn notwendig wäre. Das Problem der Rationalisierung der Hausarbeit kann also nicht für sich allein gelöst werden, sondern muß mit notwendigen sozialen Erwägungen Hand in Hand gehen.

Nach den bereits gemachten Erfahrungen erkennen wir, daß wir beim Einzelhaushalt bleiben, jedoch diesen so rationell wie nur irgend möglich gestalten müssen. Wie können wir aber die bisher übliche kraft- und zeitvergeudende Arbeitsweise im Haushalt verbessern? Wir können die Grundsätze arbeitsparender, wirtschaftlicher Betriebsführung, deren Verwirklichung in Fabriken und Büros zu ungeahnten Steigerungen der Leistungsfähigkeit geführt hat, auf die Hausarbeit übertragen. Wir müssen erkennen, daß es für jede Arbeit einen besten und einfachsten Weg geben muß, der daher auch der am wenigsten ermüdende ist. Für 3 Arbeitsgruppen, das sind Hausfrauen, Fabrikanten und Architekten, ist es eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe, in gemeinsamer Arbeit diese einfachste Art der Ausführung jeder Hausarbeit zu ermitteln und zu ermöglichen.

Unter den Hausfrauen wird die geistig geschulte Frau auch immer rationeller arbeiten. Sie wird, unterstützt von richtigen Geräten und Maschinen und bei richtiger Wohnungseinteilung bald die zweckmäßigste Art und Weise ihrer Arbeit erkennen.

Unter den Fabrikanten (mit Ausnahme der Möbelfabrikanten) gibt es heute schon viele, die sich auf die neuen Forderungen unserer Zeit einstellen und brauchbare, arbeitsparende Geräte und Maschinen in den Handel bringen. Die weitaus größte Rückständigkeit aber herrscht noch bei der Art der Wohnungseinrichtung. Wann wird die Allgemeinheit einmal erkennen, welche Art der Wohnungseinrichtung die für sie zweckmäßigste und beste ist? Jahrelange Bemühungen des deutschen Werkbundes und einzelner Architekten, unzählige Schriften und Vorträge, in denen Klarheit, Einfachheit und Zweckmäßigkeit der Einrichtung und Abkehr von dem überlieferten Kitsch der letzten fünfzig Jahre verlangt wurde, haben fast garnichts genützt.

Kommen wir in die Wohnungen, so finden wir noch immer den alten Tand und die üble übliche „Dekoration“. Daß alle diese Bemühungen praktisch so wenig Erfolg hatten, liegt in der Hauptsache an den Frauen, die merkwürdigerweise den neuen Ideen wenig zugänglich sind. Die Möbelhändler sagen, die Käufer verlangen immer wieder das Alte. Die Frauen nehmen lieber alle Mehrarbeit auf sich, um ein „frauliches und gemütliches“ Heim zu haben. Einfachheit und Zweckmäßigkeit hält die Mehrzahl heute noch für gleichbedeutend mit Nüchternheit. Das Hochbauamt der Stadt Frankfurt a. M. hat durch Aufstellung eines vollständig eingerichteten Musterhauses bei der im Rahmen der Frankfurter Messe stattfindenden Ausstellung „Die neue Wohnung und ihr Innenausbau“ versucht, die Menschen vom Gegenteil zu überzeugen. Es will beweisen, daß Einfachheit und Zweckmäßigkeit nicht nur Arbeitsersparnis bedeuten, sondern, verbunden mit gutem Material und richtiger Form und Farbe, Klarheit und Schönheit ist.

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