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Sozialstaat in der Krise (27. Juli 1981)

In diesem Beitrag des Spiegel-Magazins wird kritisch angemerkt, dass der Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums das Sozialsystem der Bundesrepublik immer mehr zur Disposition stelle, doch die Politiker nicht bereit seien, daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, da sie ihre Klientel mit zusätzlichen Ausgaben bedienten und dies mit der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens verteidigten.

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Die Helden sind ohne Ideen


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Ratlos sehen sich die Bonner Wachstumspolitiker in einer Situation, die seit langem von Kritikern der zur Verteilungsdemokratie hochentwickelten Bundesrepublik vorausgesagt worden ist. Die Mittel des Staates zur Konjunkturankurbelung sind erschöpft, die Ansprüche an die öffentlichen Haushalte zu hoch, und der alles heilende Konjunkturaufschwung mit Wachstumsraten wie zu Zeiten der goldenen Fünfziger und Sechziger ist nicht in Sicht.

An Warnzeichen hat es wahrlich nicht gefehlt. Nicht nur phantasiebegabte Wachstumskritiker, auch Ökonomen der klassischen Schule haben schon vor Jahren davor gewarnt, den hohen Wachstumsraten der 50er und 60er Jahren nachzulaufen.

Eine ganze Reihe von Gründen läßt sich anführen, warum die Dynamik der Nachkriegsjahrzehnte nicht ins nächste Jahrtausend hineingerettet werden kann. Da war der Nachholbedarf in der Nachkriegszeit. Wohnungsbau, Autoindustrie, aber auch die Produktion anderer langlebiger Konsumgüter und die Nachfrage des Staates hielten die Wirtschaft auf Höchsttempo. Nicht nur in Deutschland, überall in der Welt wurde aufgebaut – und die Bundesrepublik hatte am Aufschwung des Welthandels einen besonderen Anteil.

Der Bruch kam spätestens mit der ersten Ölkrise in den Jahren 1973/74. Vielen dämmerte da erstmals, daß der Massenwohlstand mit Rohstoffen und Energien geschaffen wurde, die es zu Spottpreisen zu kaufen gegeben hatte; daß die Industrieregionen Europas, Japans und Nordamerikas an die Grenzen ihrer natürlichen Belastbarkeit stießen; daß in einer endlichen Welt nichts, auch nicht das zum Fetisch erhobene Bruttosozialprodukt, unendlich wachsen kann.

Doch statt sich auf eine Zukunft mit geringeren Wachstumsraten einzustellen, statt Wirtschaft und Gesellschaft auf das Neue umzustimmen, versuchten die Bonner Krisenmanager, mit steigendem Aufwand dem Unvermeidlichen gegenzusteuern. Rund 150 Milliarden Mark haben die öffentlichen Finanziers allein seit 1975 für die wirtschaftliche Belebung eingesetzt – zum überwiegenden Teil nicht Geld aus Steuermitteln, sondern Geliehenes.

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Veränderungen im Sozialsystem, Kürzungen gar, scheinen nur mit einer ungewöhnlichen politischen Kraftanstrengung möglich. Vor allem die Gefolgschaft der Bonner Sozialdemokraten hat dann schnell das Etikett bei der Hand, es geschehe gesellschaftspolitisches Unrecht.

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