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August Bebels Rede im Norddeutschen Reichstag gegen den Deutsch-Französischen Krieg und die Annexion von Elsass-Lothringen (26. November 1870)

Als prinzipielle Pazifisten und Annexionsgegner lehnten die Sozialdemokraten Bismarcks Pläne für die Eingliederung Elsaß-Lothringens im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ab. In dieser Rede im Norddeutschen Reichstag begründet der Parteiführer der SPD August Bebel (1840-1913) die Weigerung seiner Partei, die für die Fortsetzung des Feldzugs gegen Frankreich notwendigen Mittel zu bewilligen. Er verweist auf die Wahrscheinlichkeit eines französischen Revanchismus und weitet seine Attacke auf die Liberalen aus, auf die Mitglieder des Großbürgertums und der Bourgeoisie, und auf all diejenigen, die er als pseudopatriotische (und geizige) Kriegsbefürworter bezeichnet. Interventionen durch den Reichstagspräsidenten deuten darauf hin, wie nahe Bebel an den Grenzen des parlamentarischen Anstands manövrierte, um seinen leidenschaftlichen Appell für einen Frieden ohne Eroberung vorzubringen. Die anschließenden Ereignisse, unter anderem ihre Festnahme und Haft wegen Aufwiegelung, bewiesen, dass man Bebel und seinem Parteigenossen Liebknecht diese prinzipientreue Haltung nicht verzieh.

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Abgeordneter Bebel: Also, meine Herren, man hat ja die verschiedensten Gründe für die Annexion geltend gemacht. Man sagt, Elsaß und Lothringen müsse aus strategischen Gründen deutsch werden, es müsse aus nationalen Gesichtspunkten deutsch werden, weil es seinerzeit zu Deutschland gehört habe, es müsse aus politischen Gründen deutsch werden, es müsse womöglich noch aus volkswirtschaftlichen Gründen deutsch werden. In der Presse, soweit sie Gelegenheit hatte, ihre Meinung zu äußern, sind hinlänglich die Gegengründe gegen diese Ansicht aufgestellt. Man hat, meines Erachtens mit vollem Rechte, hervorgehoben, sowenig es bei dem gegenwärtigen Kriege Frankreich seinerseits möglich war, trotz Elsaß und Lothringen, trotzdem Straßburg und Metz in seinem Besitz war, den Einmarsch der deutschen Heere aufzuhalten, wird umgekehrt, wenn die Verhältnisse günstig sind, es eines Tages möglich sein, den Einmarsch der Franzosen in Deutschland zu verhüten, angenommen, daß Kombinationen getroffen sind und die Verhältnisse vielleicht günstiger sind, als sie für Frankreich jetzt waren.

Meine Herren, die neueste Thronrede spricht aus, daß man weit entfernt sei, glauben zu müssen, daß mit dem gegenwärtigen Friedensschluß überhaupt auf längere Zeit der Friede mit Frankreich aufrechtzuerhalten sei; sie spricht aus, daß die französische Nation von dem Gefühl der Wiedervergeltung erfüllt und geleitet, alles aufbieten wird, um den Kampf wieder aufzunehmen, daß sie alles aufbieten werde, um, wenn auch nicht aus eigener Kraft, doch in Verbindung mit anderen Mächten, dahin zu kommen, das, was es heute hat aufgeben müssen, nachträglich zurückzuerobern. Nun, wenn wir eine solche Aussicht haben, dann gebietet uns die Klugheit von selbst, daß wir unsere Gegner nicht unnützerweise verletzen und zur Rache anstacheln. (Große Unruhe, Gelächter.)

Es ist notwendig, daß alles das, was dazu beitragen kann, Frankreich auf das äußerste zu treiben, unterlassen wird, und daß dasjenige, was es einmal seit Jahrhunderten besitzt, heute ihm auch gelassen wird, um so mehr, da ja Elsaß und Lothringen, mit Ausnahme von ein paar Dutzend Leuten, also die ganze Bevölkerung, entschieden gegen diese Annexion ist. Die gesamte Bevölkerung hat unzweifelhaft nicht im mindesten Lust, in diesen deutschen Staat unter den Hohenzollern einzutreten, und von meinem Standpunkte aus ist der Wille der Bevölkerung für diese Frage entscheidend. Das Selbstbestimmungsrecht ist die Hauptgrundlage, auf welcher wir von unserem Standpunkte fußen müssen, und wenn wir heute das Selbstbestimmungsrecht mit Füßen treten, wenn wir heute, was uns beliebt, ohne Ausnahme nehmen können, dann vergeben wir damit das eigene Selbstbestimmungsrecht, dann müssen wir es uns ebensogut gefallen lassen, wenn andere, wo die Gelegenheit sich bietet, auch Stücke unseres Landes nehmen (große Heiterkeit), dieselben Gründe, die Sie jetzt für die Annexion angeben, sie können auch eines Tages gegen uns geltend gemacht werden. Das Nationalitätsprinzip

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