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Unter den Osmanen – Ogier Ghiselin de Busbecq in Istanbul (1552-62)

Ogier Ghiselin de Busbecq (1522-1592), ein wallonischer Untertan des Reichs, gab dem christlichen Europa den wohl umfassendsten und kenntnisreichsten Einblick in das Osmanische Reich. Er war der unehelich geborene Sohn eines Adligen und studierte in Leuven sowie mehreren italienischen Universitäten, bevor er um 1552 in den Dienst König (später Kaiser) Ferdinands I. eintrat. Ende 1554 reiste Ogier zum ersten Mal nach Istanbul, wo er als Botschafter des Reiches am Hof des Sultans diente. Er kehrte 1562 mit seiner größten Errungenschaft zurück, einem Friedensvertag, den er im Namen Ferdinands mit dem Sultan ausgehandelt hatte.

Ogier erlbete die Hauptstadt einer jungen Zivilisation auf ihrem Höhepunkt unter der Herrschaft Sultan Süleymans I. (reg. 1520-66), der von den Europäern „der Prächtige“, von seinem eigenen Volk jedoch „der Gesetzgeber“ genannt wurde. Zu dieser Zeit betrachtete das westliche Christentum die Osmanen gewöhnlich aus vier Perspektiven: der ethnographischen – die Osmanen als exotisches, doch gleichzeitig verständliches Volk; der militärischen – die Osmanen als Rasse von Eroberern unter der Führung ihres Sultans, eines großen Kriegsherrn, der mit christlichen Herrschern Krieg führte und Frieden schloss; der moralischen – die Osmanen als grausame, tyrannische und furchteinflößende Rasse; und schließlich der theologischen – die Osmanen als Handlanger des Antichristen, Gottesfeinde, sowie für die Protestanten als geistliche Verbündete des römischen Papstes im Absturz der Welt zu deren Untergang. Ogier bereicherte, ungleich irgendeinem anderen christlichen Autoren, die ethnographische Perspektive um eine Unmenge praktischer Informationen – die zwar nicht immer zutreffend, jedoch stets gut bedacht waren. Zudem lieferte er eine außergewöhnlich detaillierte Beschreibung der osmanischen Hauptstadt Istanbul. Seine 1582 zuerst auf Latein veröffentlichten Briefe aus der Türkei wurden in alle wichtigen europäischen Sprachen übersetzt. Sie wurden so zur Hauptinformationsquelle über die Osmanen, deren Zivilisation und Reich für das christliche Europa.

Die hier wiedergegebenen Auszüge veranschaulichen zwei Aspekte der Reisen Ogiers ins Herz der osmanischen Zivilisation. Der erste Ausschnitt (A) gibt seine Eindrücke aus Istanbul während seines ersten Besuchs in der Hauptstadt wieder. Der zweite (B) schildert seine Gedanken über die osmanische und christliche Zivilisation nach seiner Rückkehr ins Reich in Begleitung des ersten osmanischen Gesandten am Hof eines westlichen christlichen Königs.

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A. Ogier in Istanbul.


Aber ich kehre zu meinem Ausgang zurück. Es wurde ein Bote mit Briefen über meine Ankunft zu Suleiman geschickt. In der Zwischenzeit, da man auf Antwort wartete, hatte ich Gelegenheit, die Stadt Konstantinopel in Muße anzuschauen. Zunächst wollte ich den Tempel der heiligen Sophia besuchen, doch wurde ich nur durch ganz besondere Gunst eingelassen. Die Türken glauben ihre Tempel entweiht, wenn ein Christ sie betritt. Die Hagia Sophia ist ein gewaltiges Werk, des Beschauens wohl wert; sie hat eine riesig gewölbte Kuppel, die allein von einer Öffnung in der Mitte Licht empfängt. Nach dem Vorbild dieser Kirche sind nahezu alle türkischen Moscheen gebaut. Manche behaupten, sie sei ehedem viel größer gewesen und habe weithin zahlreiche Anbauten gehabt, doch seien diese längst niedergelegt, und allein das Allerheiligste und der mittlere Bezirk sei geblieben.

Was nun die Lage der Stadt angeht, so scheint Natur hier den Sitz einer Herrscherstadt geschaffen zu haben. Sie liegt in Europa, sie hat den Blick auf Asien und zur rechten Ägypten und Afrika. Obwohl diese nicht bis dorthin reichen, sind sie doch durch das Meer und leichte Schiffahrt damit verbunden. Zur Linken liegt der Pontus Euxinus [das Schwarze Meer] und der Maeotissumpf [das Asowsche Meer]; diese sind ringsum von vielen Völkern bewohnt und empfangen allerseits viele Flüsse, so daß weit und breit in diesen Landschaften nichts für Menschen Brauchbares wachsen kann, das nicht zu Schiffe in größter Bequemlichkeit nach Konstantinopel gelangte. Auf der einen Seite ist es vom Marmara-Meer bespült, auf der anderen bildet einen Hafen der Fluß, den Strabo seiner Form wegen das Goldene Horn nennt. Auf der dritten Seite ist die Stadt mit dem Festland verbunden, so daß sich ungefähr das Bild einer Halbinsel ergibt und sie auf langgestrecktem Bergrücken in das Meer und die Bucht ragt. In der Mitte von Konstantinopel hat man den heitersten Blick auf das Meer und den im ewigen Schnee schimmernden asiatischen Olymp.

Das Meer ist überreich an Fischen jeder Art; bald schwimmen sie aus der Maeotis und dem Schwarzen Meer durch Bosporus und Propontis ins Ägeische und Mittelmeer, bald von hier wieder ins Schwarze Meer, wie das die Natur der Fische ist. Ihre Schwärme sind so zahlreich und dicht, daß man sie manchmal mit den Händen fangen kann. In größter Zahl fischt man dort Makrelen, Tunfische, Dickköpfe, Zahnbrassen und Schwertfische. Diese Tätigkeit üben vor allem die Griechen, mehr zwar als die Türken, obwohl auch diese die Fische auf der Tafel nicht verschmähen, wenn sie nur von einer Art sind, die sie für rein halten; andere rühren sie so wenig an wie tödliches Gift. Denn — um das im Vorbeigehen zu sagen — sie würden sich lieber die Zunge oder die Zähne ausreißen lassen als irgend etwas essen, was nach ihrer Überzeugung unrein ist, wie etwa Frosch, Schnecke oder Schildkröte. Die Griechen leiden an dem gleichen Aberglauben. Ich hatte einen Knaben griechischen Bekenntnisses in meine Dienerschaft aufgenommen, den ich zum Einkaufen gebrauchte. Den konnten meine übrigen Diener niemals dahin bringen, Schnecken zu essen. Schließlich setzten sie sie ihm einmal so zubereitet und gewürzt vor, daß er sie für eine Art Fische hielt und gierig verzehrte. Aber als er am Lachen und Kichern der anderen und an den ihm vorgeworfenen Schalen den Betrug erkannte, war er ganz unbeschreiblich aufgeregt, zog sich in seine Kammer zurück und fand kein Ende mit Erbrechen, Weinen und sich Kummer machen: kaum zwei Monatslöhne würden ausreichen, ihn von dieser Sünde loszukaufen. Denn diese Sitte haben die griechischen Priester: je nach Gattung und Größe des Vergehens bestimmen sie denen, die ihre Sünden gebeichtet haben, einen größeren oder geringeren Preis für die Lösung und sprechen sie nicht eher los, als bis sie die ausgemachte Summe eingesteckt haben.

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