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Die Marburger Religionsgespräche – Der Bericht Ulrich Zwinglis (20. Oktober 1529)

Im Oktober 1520 lud Landgraf Philipp von Hessen Martin Luther und Ulrich Zwingli zu einem Religionsgespräch in das Marburger Schloss ein, wo sie über die korrekte Auslegung der Worte Christi hinsichtlich der Eucharistie debattierten. Der folgende Bericht wurde von Zwingli verfasst, der seinem Freund Joachim Vadian (1484-1551) in St. Gallen die Ereignisse schilderte. Zwingli, der von Beamten und Predigern aus Zürich, Bern und Basel begleitet wurde, reiste auf dem Weg nach Marburg zunächst nach Straßburg, wo die Prediger tendenziell ihn unterstützten. Die führenden Straßburger Beamten strebten allerdings eine Einigkeit der Protestanten an und unterstützten daher Landgraf Philipp. Zwinglis Ansichten erfuhren wiederum starke Zustimmung unter den Predigern in Süddeutschland. Im folgenden Text beschreibt der Züricher Reformer das spürbare Misstrauen zwischen ihm und Luther.

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Gnade und Friede vom Herrn!

Worauf Du gespannt bist, das will ich Dir kurz schreiben.

Nachdem wir unter sicherem Geleit nach Marburg geführt waren und Luther mit seinen Begleitern angekommen war, ordnete der fürstliche Landgraf an, Oecolampad solle mit Luther und Melanchthon mit Zwingli getrennt, ohne jeden Schiedsrichter, die Auseinandersetzung versuchsweise beginnen, will sagen: Sie sollten gegenseitig erkunden, ob sich in ihren Lehrsätzen etwas finden ließe, das zu einem Friedensschluß beitragen könnte. Dabei hat sich Luther den Oecolampad so vorgenommen, daß der bei mir im Vertrauen darüber klagte, er sei von neuem dem Eck in die Hände gefallen. Aber das darfst Du nur verschwiegenen Leuten weitersagen. Aber da Melanchthon überaus glatt wie ein Aal war und wie ein Proteus alle möglichen Gestalten annahm, nötigte er mich, zur Feder zu greifen und sozusagen mit Salz meine Hand zu wappnen und zu trocknen, um so den Entschlüpfenden und sich in alle erdenklichen Flucht- und Schlupfwinkel Drückenden unerbittlich festzuhalten. Daher schicke ich die Kopie einer Niederschrift von einigen aus Hunderttausenden seiner Aussagen, doch unter der Bedingung, daß Du sie nur verschwiegenen Leuten mitteilst, d.h. solche, die daraus keine Fortsetzung der Tragödie anzetteln, denn auch Philipp selbst besitzt eine solche Kopie. Die Niederschrift stammt nämlich von mir, aber er hat alles durchgesehen, gelesen und einiges selbst diktiert. Wir jedoch wollen nicht die Einleitung einer neuen Tragödie bieten.

Dieses Gespräch dauerte bei Philipp und mir sechs, bei Luther und Oecolampad drei Stunden. Anderntags stiegen vor dem Landgraf und einigen Schiedsrichtern – höchtens vierundzwanzig – Luther und Melanchthon, Oecolampad und Zwingli in die Arena; der Kampf zog sich über diese wie über drei weitere Sessionen hin. Denn im ganzen waren es vier, in denen vor den Schiedsrichtern der Kampf glücklich verlief. Wir hielten Luther nämlich entgegen, daß er die dreimal leichtfertigen Sätze »Christus hat nach seiner göttlichen Natur gelitten« und »Christi Leib ist überall« aufgestellt habe und daß er das Bibelwort »das Fleisch ist nichts nütze« selbst in einem anderen Sinn, als er jetzt behaupte, ausgelegt habe. Aber liebenswürdig, wie er ist, gab er auf all das keine Antwort, außer daß er zu dem Satz »das Fleisch ist nichts nütze« erklärte: »Du weißt doch, Zwingli, wie die Alten alle im Verlauf der Jahrhunderte und mit wachsender Urteilskraft die biblischen Texte immer wieder anders behandelt haben.« Er sagte: »Leiblich wird der Leib Christi in unseren Leib hineingegessen, doch zugleich will ich mir die Möglichkeit vorbehalten, ob auch die Seele den Leib esse«, während er kurz vorher erklärt hatte: »Mit dem Munde wird der Leib Christi leiblich gegessen, die Seele ißt ihn nicht leiblich.« Er sagte, der Leib Christi komme zustande durch diese Worte »das ist mein Leib«, gleichgültig, was für ein Bösewicht es sei, der diese [Einsetzungs]worte spreche. Er gab zu, daß der Leib Christi begrenzt sei. Er gab zu, daß das Zeichen des Leibes Christi Eucharistie genannt werden könne.

Wie er diese und ungezählte andere widersprüchliche, widersinnige und törichte Sätze so daherblökte, unermüdlich wie das Geplätscher am Strand, so wurde er doch von uns widerlegt, so daß sogar der Fürst selbst uns beistimmte, obwohl er das in der Öffentlichkeit vor gewissen anderen Fürstlichkeiten verschleierte. Der Hessische Hof fiel so fast ganz von Luther ab. Der Fürst gestattete ausdrücklich, daß man unsere Bücher ungestraft lesen dürfe. Er duldet jetzt auch nicht mehr, daß die Pfarrer, die unserer Lehre beipflichten, abgesetzt werden.

Johann von Sachsen war nicht anwesend, aber Ulrich von Württemberg. Zuletzt ging man auseinander nach der Annahme der Übereinkunft, die Du demnächst gedruckt lesen kannst.

Die Wahrheit hat so offenkundig die Oberhand gewonnen, daß, wenn jemals einer unterlegen ist, Luther mit seiner Unverschämtheit und Schmähsucht vor aller Augen unterlegen ist, allerdings nur vor hellsehenden und gerechten Richtern; mag er unterdessen so laut schreien, wie er will, er sei unbesiegt geblieben usw. Auch den Gewinn haben wir davongetragen, daß, nachdem wir in den übrigen Dogmen der christlichen Religion einig geworden sind, die Päpstler nicht länger hoffen können, Luther werde ihre Partei ergreifen. Das schreibe ich Dir, noch ganz erschöpft von der Reise. Wenn Du zu uns kommst, wirst Du alles vollständig zu hören bekommen. Ich meine nämlich noch einige andere Gedanken mitgebracht zu haben, die zum Schutze der Religion und gegen die Alleinherrschaft des Kaisers zu verwirklichen sind und die wir auch Euch zu gegebener Zeit unterbreiten müssen.

Inzwischen leb wohl und grüße alle Freunde!

Dein Huldrych Zwingli



Quelle der deutschen Übersetzung aus dem Lateinischen: Ulrich Zwingli, Ausgewählte Schriften in neuhochdeutscher Wiedergabe, herausgegeben von Ernst Saxer. Neukirchen-Vluyn, 1988, S. 125-28.

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