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Predigt zur Absicherung im Jenseits – Johann Tetzel, Ablasspredigt (ca. 1517)

Als Zielscheibe der Kritik Luthers wurde Johann Tetzel (1465-1519) zum wohl bekanntesten Ablassprediger seiner Zeit. Obwohl die Kirche lehrte, dass die Vergebung von Sünden Buße erforderte und der Weg in den Himmel daher nicht erkauft werden konnte, bestand für viele Menschen kein Unterschied zwischen der durch Ablassbriefe erlangten Gnade und dem Betrag, der gezahlt wurde, um diese zu dokumentieren. Vor diesem Hintergrund entstand das Sprichwort „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt“. Im Jahr 1517 hielt Tetzel Ablasspredigten im Auftrag zahlreicher deutscher Kleriker, Fürsten und Stadtregierungen, allen voran der höchste geistliche Würdenträger des Deutschen Reiches, Erzbischof Albrecht von Mainz (1490-1545). Diese Kampagne löste Luthers Kritik am Ablasshandel aus, welche wiederum den Anfang seiner Reformbestrebungen darstellte.

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Also was überlegst du? Was säumst du, dich zu bekehren? Warum vergießest du jetzt in dieser Zeit Tränen um deine Sünden? Warum beichtest du nicht jetzt vor den Stellvertretern unseres allerheiligsten Herrn Papstes? Hast du nicht das Vorbild von Laurentius, der die übergebenen Schätze, die er hatte, aus Liebe zu Gott ausgeteilt hat und seinen Leib dem Feuer übergeben hat? Nimmst du nicht von Bartholomäus, Stephanus und anderen Heiligen das Vorbild, die den grausamsten Tod um des Seelenheils willen gewollt haben? Und du gibst keine unermeßlichen Schätze, ja, nicht einmal ein mäßiges Almosen. Sie haben ihre Körper zur Marter hingegeben, du aber verschmähst nicht einmal Genüsse und Lust. Du Priester, du Adliger, du Kaufmann, du Weib, du Jungfrau, du Verheiratete, du Jüngling, du Greis, gehe doch hinein in deine Kirche, die, wie gesagt, St. Peter ist, und besuche das allerheiligste Kreuz, das für dich aufgerichtet ist, das ununterbrochen dich ruft ... Bedenke, daß du auf dem tobenden Meer dieser Welt in so viel Sturm und Gefahr bist und nicht weißt, ob du zum Hafen des Heils kommen kannst ... Du sollst wissen: wer gebeichtet hat und zerknirscht ist und Almosen in den Kasten legt, wie ihm der Beichtvater rät, der wird vollkommene Vergebung aller seiner Sünden haben und auch nach der Beichte und nach dem Jubeljahr an jedem Tag, an dem er das Kreuz und die Altäre besucht, den Ablaß erlangen, wie wenn er in der Kirche von St. Peter jene sieben Altäre besuchen würde, wo der vollkommene Ablaß gewährt wird. Was steht ihr also müßig? Laufet alle um das Heil eurer Seele. Seid rasch und besorgt um das Seelenheil, wie um zeitliche Güter, wovon ihr weder Tag noch Nacht ablaßt. »Suchet den Herrn, solange er nahe ist, und man ihn finden kann« [Jes 55,6]; wirkt, wie Johannes sagt, solange es Tag ist, denn »es kommt die Nacht, da niemand wirken kann« [Joh 9,4]. – Hört ihr nicht die Stimme eurer toten Eltern und anderer Leute, die da schreien und sagen: »›Erbarmt, erbarmt euch doch meiner, weil die Hand Gottes mich berührt hat‹ [Hi 19,21]. Wir sind in schweren Strafen und Pein, wovon ihr uns mit wenig Almosen erretten könntet, und doch nicht wollt.« Tut die Ohren auf, weil der Vater zu dem Sohn, die Mutter zu der Tochter schreit: »Warum verfolgt ihr mich wie ein Zahn1, und sättigt euch mit meinem Fleisch« [Hi 19,22], als wollten sie sagen: »Wir haben euch gezeugt, ernährt, erzogen und euch unser zeitliches Gut überlassen; und ihr seid so grausam und hart, daß ihr, wo ihr uns doch jetzt mit leichter Mühe erretten könntet, es nicht wollt und uns in Flammen wälzen laßt, daß wir so langsam zur verheißenen Herrlichkeit kommen.« – Ihr könnt jetzt Beichtbriefe haben, durch deren Kraft ihr im Leben und in der Todesstunde und in den nicht vorbehaltenen Fällen sooft wie nötig den vollkommenen Nachlaß der für die Sünden schuldigen Strafen haben könnt. O ihr, die ihr Gelübde übernommen habt, ihr Wucherer, ihr Räuber, Mörder, Verbrecher! Jetzt ist es Zeit, Gottes Stimme zu hören, der nicht den Tod des Sünders will, sondern will, daß er sich bekehrt und lebt [Hes 33,11]. Bekehr dich also, Jerusalem, zum Herrn, deinem Gott. O, ihr Kritiker [oblocutores], ihr Verleumder und alle, die ihr dieses Werk hindert auf direkte oder indirekte Weise, wie übel steht es mit euch: ihr seid außerhalb der Kirchengemeinschaft!2 Keine Messen, keine Predigten, keine Gebete, keine Sakramente, keine Fürbitten helfen euch. Keine Äcker, keine Weinberge, keine Bäume und kein Vieh tragen ihre Frucht, Weine und Spirituosen werden trocken und verdörrt, wofür Beispiele angeführt werden können. Zaudert nicht! »Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen« [Joel 2,12] und nehmt die Arznei, von der die Weisheit sagt: Der Allerhöchste hat die Arznei aus der Erde geschaffen, und ein vernünftiger Mann wird sie nicht verachten [Sir 38,4].



Quelle der deutschen Übersetzung aus dem Lateinischen: Heiko A. Oberman, Hg., Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen-Vluyn, 1981, S. 15-16.

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