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Die Grünen nach dem Machtwechsel (21. November 2006)

Dietmar Huber, der Pressesprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen von 1994 bis Anfang 2006, analysiert die Gründe, warum sich die Partei in der Opposition so schwer tut. Nach dem Abschied von Joschka Fischer, so Huber, fehle eine klare Führung und ein Generationenwechsel habe nicht stattgefunden. Das Thema der Umwelt ist schon lange nicht mehr nur das Thema der Grünen und wichtige andere „grüne“ Themen sind inzwischen politisch umgesetzt.

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Kein Kapitän, kein Kurs, kein Ziel

Die Spitzen der Grünen sorgen eifersüchtig dafür, dass niemand von ihnen ans Ruder kommt – so irrt die gesamte Partei umher


Ein Haus, irgendwo im Berliner Grunewald, auf dem Kaminsims eine Plastik: Da ziehen drei an einem Ende eines Seils, und einer am anderen Ende. Drei gegen einen, eigentlich eine klare Sache, wenn man mit der Physik des Tauziehens vertraut ist. Doch hier zieht der eine – deutlich erkennbar – die anderen zu sich herüber: kraftvoll, leidenschaftlich, unwiderstehlich! Bei den Bündnisgrünen dieser Tage ist davon nicht viel zu spüren. Niemand zieht, wie Joschka Fischer einst ins rotgrüne Projekt – von Leidenschaft ganz zu schweigen. Fischers Erben sind beschäftigt. Mit sich selbst. Und damit, sich aus dem Seil gegenseitig kleine Stricke zu drehen.

Während viele Bürger fassungslos auf das groteske Schlachtengemälde der großen Koalition schauen und Westerwelles FDP in aller Ruhe den konservativen Tross plündert, irren die Grünen abseits umher. Warum nur, wundert man sich. Bei der Bundestagswahl erreichten sie 8,1 Prozent, und damit – trotz des Machtverlustes – vielleicht das wichtigste Ergebnis ihrer Parteigeschichte, von Fischer und den Seinen hart erkämpft gegen die veröffentlichte Meinung, den Koalitionspartner und vor allem gegen die Zweifler in den eigenen Reihen. Programmatisch wirkt die Partei auf der Höhe der Zeit, an vorzeigbaren Leuten ist kein Mangel. Doch gut ein Jahr nach der vorgezogenen Bundestagswahl wirken die Grünen farb- und gesichtslos. Der neuen Führung fällt es schwer, die Grünen als starke Opposition zu positionieren. Ein eigentlich interessanter Wirtschaftskongress am vergangenen Freitag konnte diesen Eindruck nicht wettmachen. Mit dem schwierigen Übergang in die Opposition und der Zäsur, die Fischers Abschied bedeutete, kann dieser Zustand nicht mehr entschuldigt werden. Es war ein Jahr lang Zeit.

Wer nicht weiß, welchen Hafen er ansteuert, für den ist kein Wind günstig, wusste schon Seneca. Kapitän, Kurs und Zielhafen sind bei den Grünen nach einem Jahr Opposition weiter unbekannt. Mindestens vier, fünf Möchtegern-Kapitäne kommandieren auf der Brücke herum, ebenso viele warten darauf, dass einer auf dem nassen Oberdeck ausrutscht – und im Ausguck feixt der Klabautermann. Eifersüchtig belauern sich Partei- und Fraktionsspitze, balgen um jeden Krümel des kleinen Kuchens Medien-Aufmerksamkeit. Als zum Beispiel Fritz Kuhn, einer von zwei Fraktionschefs, in einer Sonntagszeitung über die Farben einer Ampel räsonierte, bellte Claudia Roth, eine von zwei Parteichefs, sofort dazwischen: Solche Diskussionen „schaden der Partei".

In einem solchen Klima ist es schwer, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Denn dass die Grünen sich strategisch neu positionieren müssen, wenn sie künftig wieder regieren wollen, steht außer Frage. Eine neue Machtperspektive, egal welche, ergibt sich aber nicht von selbst, durch bloße Arithmetik also. Das mussten schon die baden-württembergischen Grünen lernen, die sich Hoffnung auf Schwarz-Grün gemacht hatten – und nun auch die Berliner, die dachten, die SPD werde sie allemal wieder der Linkspartei vorziehen. Eine Machtperspektive muss inhaltlich vorbereitet und begründet sein. Und sie braucht Führungspersonen, die erkennbar dafür stehen. Das gilt auch für Rot-Grün. Bisher blieb die Partei noch jede Analyse schuldig, warum die Grünen binnen weniger Jahre aus allen Regierungen gewählt worden sind. Mancher Protagonist wärmt sich immer noch an der Vorstellung, ein hurtig surrender (selbstredend ökologisch korrekter) Reformmotor zu sein.

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