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Ernst von Salomon, „Wir und die Intellektuellen” (1930)


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Wir und die Intellektuellen


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Der Intellektuelle redet und schreibt »Ich«. Er fühlt keine Verbundenheit. Sein Wirken ist Auflösung. Es ist die Auflösung der Masse der Einzelwesen in abgesonderte Einzelwesen, welche fortan nicht unter und nicht über dem Volke stehen, sondern abseits. Das Mittel dazu ist der mißverstandene Begriff »Bildung«. Bildung heißt nach deutschem Empfinden Formgebung, innere und äußere. Form kann aber nur da gegeben werden, wo Inhalt ist, und Inhalt gibt nur die Idee. Die Idee aber zeigt immer eine Verbundenheit auf. Der Gedanke steht allein und wird in einem Hirn erzeugt. Die Idee ist ein Gemeinsames. Sie wächst aus den Spannungen zwischen Mensch und Mensch. Wo Spannung ist, ist auch Verbundenheit. Für den Intellektuellen ist Bildung bestenfalls hochentwickelte Gedankenakrobatik und stets nur Eigentümlichkeit des »Ich«. Die Anmaßung, die dem Begriffe »Bildung« anhängt, konnte nur entstehen durch diese Auffassung des Intellektuellen, und diese Auffassung konnte nur gedeihen in jenem leeren Raume, in dem der Intellektuelle lebt.

Das betonte »Wir« des neueren Geschlechts ist eine deutliche Absage an den Intellektualismus. Das »Wir« des jungen nationalistischen Geschlechts erfolgt bewußt. Wir, das ist die noch kleine Schar von Männern und im breiten Sinne männlicher Jugend, die über die bloße Absage hinaus bereits neue Werte an Stelle der alten oder in den leeren Raum setzt. Wir haben keine Intellektuelle, wir sagen es mit Stolz, wir sagen es, weil uns dieser angebliche Mangel höhnend vorgeworfen wird. Das Geistige im Nationalismus ist anderer Art als das Geistige des vergangenen Zeitabschnitts. Es ist blutsverbunden. Es kennt keine Dialektik, und wo es neue Zusammenhänge sucht, tut es dies im Sinne einer Verantwortung dem Ganzen gegenüber. Das Geistige der mißverstandenen Bildung kennt kein Ganzes und hat sein Ziel und seine Spitze in der »Prominenz«. Wir kennen ein Gemeinsames, aus dem wir die Kraft saugen, und dies Gemeinsame wurzelt nicht im Wort, sondern in der Tat und in der Tatbereitschaft. Die einzelnen, die aus unseren Reihen springen, und die wir preisen, stehen in der Folge nicht abseits, denn die Kraft zum Ansprung haben sie in der Bewußtheit des Verbundenseins mit der Gemeinschaft und sie sind in den gesteigertsten Augenblikken niemals losgelöst, sondern über uns, vor uns, sie sind Führer. Das Wissen um die Unbedingtheit des Führertums und das Läutern dieses Begriffes von allen Schlacken, das ist es, was uns vornehmlich vom Liberalismus scheidet. Das liberale System kennt kein Führertum. Statt Führer hatte es Intellektuelle. Der Marxismus kennt kein Führertum. Seine ersten Leiter und Herren waren fremdstämmige Intellektuelle und was dann, mit Unbehagen als »Führer« ertragen wurde, das waren gewählte, emporgeschleuderte Spießbürger; der Marxist selbst nennt sie »Bonzen«. Das in den Novembertagen von 1918 zusammengebrochene System hatte »Repräsentanten«, die ihr Führertum allein aus »Tradition« herleiteten. Dies System war durch und durch liberal und brach darum zusammen, darum und weil die herrschenden Kräfte, die unsichtbar hinter den Geschehnissen standen und auf das Versagen der Leitenden warteten, entweder den Zusammenbruch wollten, oder aber durch ihre händlerische Mentalität selber keine Ahnung vom Führertum besaßen, oder aber – und dies ist ein besonderes Kapitel – in jeglichem Führertum eine Gefahr sahen, die ihnen das Geschäft verderben könne.

Wie dem auch sei: wir stehen vor einer neuen Lage. Die Struktur unserer Bewegung ist eine besondere. Sie wurzelt im Volkhaften. Das muß jede Bewegung, und nicht nur jede Bewegung, sondern jedwedes beseelte Ding, welches gerade wachsen will. Aber wir ziehen aus unserem Bekenntnis zum Volkhaften Folgerungen, die erstmalig sind. Daß zum deutschen Volke nur derjenige gehören kann, der sich seines Volkstumes bewußt ist, das ist eine Folgerung. Daß alle Ideen, denen einer lebt, wiederum nur dem Volkstum dienen dürfen, das ist eine andere. Daß alle Erscheinungen vielfältigen Lebens zu erkennen, sie zu prüfen und sie anzuerkennen oder zu verwerfen sind, je nachdem sie Wert oder Unwert haben für das, dem wir leben, das ist eine dritte. Den Intellektualismus verwerfen wir. Er ist gewogen und zu leicht befunden. Unser »Wir« wächst aus unserem Wollen und unserem Dienen. Und unser Wollen und unser Dienen gehört bis zum letzten Fanatismus dem deutschen Volke. Da es nach unserer peinigenden Überzeugung bei den anderen anders ist, darum dies »Wir«.



Quelle: Ernst von Salomon, „Wir und die Intellektuellen“, Die Kommenden 5 (2. Mai 1930) Folge 18, S. 206-07; abgedruckt in Weimarer Republik: Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, mit einer Einleitung und Kommentaren / herausgegeben von Anton Kaes. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1983, S. 503-05.

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