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Dr. Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, „Fordismus. Über Industrie und Technische Vernunft” (1926)

Frederick W. Taylors theoretische Abhandlungen zur industriellen Rationalisierung wurden in Deutschland aufmerksam rezipiert, was ebenso für die Fortentwicklung des „Taylorismus“ zum „Fordismus“ (also die Verbindung von zerlegten Arbeitsabläufen und standardisierter Fließbandfertigung einerseits mit vergleichsweise hohen Löhnen andererseits) galt. Trotz aller – sowohl bei Unternehmern als auch bei Arbeitnehmervertretern – vorhandenen Skepsis gegenüber dem Fordismus wurde die Rationalisierung überwiegend als Notwendigkeit angesehen. Darüber hinaus übte die Komponente einer relativen Hochlohnpolitik im Fordismus insbesondere auf viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter durchaus einen gewissen Reiz aus. Zu den begeisterten Rezipienten von Henry Ford gehörte auch der Autor dieses Textes, der in Österreich geborene Nationalökonom Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld (1868-1958), der in den 1920er Jahren zu einem einflussreichen Theoretiker der Rationalisierungsbewegung wurde.

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Während sich eben die Fordschen Methoden schöpferisch ausleben in ganzen und gewaltigen Systemen von Betrieben, nimmt das Taylorsystem immer nur einen einzelnen, schon bestehenden, schon gestalteten Betrieb in Angriff, um ihn vornehmlich in einer ganz bestimmten, einseitigen Richtung zu verbessern, nämlich durch berufstechnische Veredelung des Arbeitsvollzuges, also der ausführenden Arbeit im Betriebe. Der Grundgedanke des Systems ist ja an richtiger Handlangerei als Objekt herangereift: Verladen von Eisenklötzen, Erze schaufeln. Die Geschichte vom wackeren Erzeschaufler, Schmidt geheißen, wandert heute noch propagandistisch für das Taylorsystem durch die Welt. Der Angriffspunkt der Technischen Vernunft liegt für Taylor bei der Führung des Betriebes. Das bleibt an sich immer eine wichtige Sache. Ein Betrieb mag so oder so gestaltet, und kraft dessen nun auf mehr oder minder Ertriebswucht angelegt sein, dann kommt es erst noch darauf an, was Leitung und Belegschaft aus ihm zu machen wissen; oder genauer, was die engere Verwaltung und der Arbeitsvollzug, wenn sie gleich den Pranken einer Zange zupacken, aus dem Betrieb herausholen. Das hängt offenbar an der Leistungswucht des menschlichen Handelns, wie es in vielerlei Art und Form in die Wirkungsfolge des Betriebes eingegliedert ist. Taylor nun sucht gleich das Letzte herauszuholen, er trachtet nach dem Höchstleistungsbetrieb, für den die Beteiligten gleich ihr Bestes geben sollen. Höchstleistung ist ein Ziel, dem man auf sehr verschiedenen Wegen zustreben kann. Davon das Taylorsystem nur einer! Das Streben überhaupt nach Höchstleistung im Betriebe, als Ideengang sehr bedeutsam, habe ich „Taylorismus“ genannt. Dieses Streben hat zwar längst vor Taylor die Seele jedes tüchtigen Betriebsleiters erfüllt. Taylor jedoch wirkte wie niemand vor ihm eindrucksvoll dafür; vor allem hat er der Kritik am Betriebe das Auge geschärft, Selbstbesinnung der Leitung gepredigt. In solchem Geiste hat er selber als Ingenieur die Technologie der Metallbearbeitung auf eine hohe Stufe gehoben. Die Pflege einer „Arbeitswissenschaft“ konnte er freilich nur fordern; sie zu fördern obliegt jenen Zweigen der wissenschaftlichen Forschung, die sich in dieser Disziplin angewandter Erkenntnis überschneiden.

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Höchstleistung ersteigt in den Betrieben der Ford Motor Co. den Gipfel. Weniger den rechnerischen Erfolg meine ich, der sich in der Leistungswucht des einzelnen Arbeiters bemißt; der mag bei der Taylorei immer noch größer sein. Aber der ganz andere Weg hier fruchtet dem Gesamterfolg unendlich mehr. Hier teilt sich dem ganzen Betrieb jene „individuelle Höchstspannung“ mit, von der Graf Degenfeld-Schonburg in einem lehrreichen Buche spricht; sie teilt sich von der Spitze aus mit — und das ist hier Henry Ford. Münsterberg stellt bekanntlich den „Geist der Selbstbetätigung an der Peripherie“ als einen der bezeichnenden Züge des Amerikanismus hin; tatsächlich „amerikanisieren“ die Fordbetriebe selbst ihre zahlreichen Östlinge, oder sie stoßen sie ab — beides ganz im Gegensatz zur Taylorei. Aber noch viel ausgesprochener strahlt da von der Spitze aus, und in grellstem Gegensatz zu jenem „Geist der Organisation“ bei Taylor, ein lebendiger Geist der Persönlichkeit! Er durchweht den ganzen Riesenbetrieb und umspült noch den letzten Arbeiter.

Es gibt bei Ford zum Beispiel keine „Ressorts“, auch keine betitelten und festen „Posten“. Jemand braucht nur den Beweis zu liefern, daß er in irgendeiner Richtung, die der rastlosen Vervollkommnung des Ganzen frommt, erfolgreich zu wirken weiß, so schafft er sich damit selber seinen „Posten“, wird danach höher bezahlt. „Ressorts-Verantwortungen“ gibt es nicht; niemand aber, nicht dem letzten Handlanger, wird die rein menschliche Verantwortung dafür abgenommen, was er tut und nicht tut. Keinerlei Koordination der Drähte, nicht die Spur vom grauen Schrecken eines Arbeitsbüros; ein Anstellungsbüro dient als Standesamt der Betriebe, das ist alles. Bloß der obersten Leitung gesellt sich ein Stab, als operativer Generalstab für die ganz großen Fragen. Dort oben behauptet sich nur, wer nicht zum „Sachverständigen“ verknöchert; für Ford will dies sagen, wähnen, daß man für alles schon die beste Lösung im Kopfe hätte. Ein sträflicherer Widerspruch zum Geist der Fordwerke wäre auch nicht denkbar. Nichts ist jetzt und nie wird jemals etwas reif und fertig sein für Henry Ford! Er ist „Dynamik“ in der Potenz. Wirklich so, als ob der „Aktivismus“, im engeren der „Meliorismus“ eines William James dieses amerikanischeste aller Industriegebilde geistig trüge.

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