GHDI logo


Deutschland und seine Bürger in Uniform (15. November 2009)

Ein Reporter der „New York Times“ in Deutschland beschreibt das distanzierte Verhältnis der Deutschen zu ihren Streitkräften und vergleicht es mit der Situation in den Vereinigten Staaten, wo Soldaten auf die breite Unterstützung der Gesellschaft bauen können.

Druckfassung     Dokumenten-Liste      Beginn des nächsten Kapitels

Seite 1 von 2


Keine Parade für Hans


Berlin – Häufig habe ich, während ich hier in der deutschen Hauptstadt den Hauptbahnhof passierte, die traurige, einsame Figur eines Soldaten gesehen, den schweren Rucksack auf dem Rücken, auf einen Zug wartend wie der Rest von uns, doch unterscheidet er sich von der Masse durch die Uniform, die er trägt. Niemand würde auf die Idee kommen, ihm für seinen Dienst zu danken oder ihn zu fragen, ob er nach Afghanistan entsendet würde.

Die Einsamkeit war offensichtlich, doch manchmal hatte ich den Eindruck, sogar etwas wie Angst vor den gelegentlichen unfreundlichen Blicken wahrzunehmen, welche der Soldat neben der Unempfindlichkeit der breiten Massen auf dem Bahnsteig, die einfach versuchten, so zu tun, als gäbe es ihn nicht, empfing.

Vor kurzem beschrieb ich meine Eindrücke einer Gruppe von Soldaten eines Erkundungstrupps in Afghanistan, wo deutsche Soldaten in Bodenkämpfe verwickelt sind, wie sie ihr Militär seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat.

Ein Unteroffizier, der sein Leben beinahe täglich in der Nähe von Kundus riskierte, erinnerte sich an einen Besuch in Berlin, während dessen er in einem Bahnhof seine Uniform trug. Man sagte ihm, er solle sich verdrücken, ansonsten würde man ihn zusammenschlagen.

„Es war schockierend“, sagte der Offizier, Marcel B., der entsprechend den Regeln des deutschen Militärs nicht mit vollem Namen genannt werden darf. „Man schaut auf uns herab. Die amerikanischen Soldaten erzählen mir von der Anerkennung, die sie erhalten, wie die Leute einfach auf sie zu kommen und ihnen sagen, dass sie etwas Gutes tun.“

Letzten Mittwoch erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel als erstes deutsches Staatsoberhaupt gemeinsam mit französischen Regierungsvertretern in Paris an den Waffenstillstand, der den Ersten Weltkrieg beendete.

Es war ein weiteres Zeichen dafür, wie weit ihr Land auf seinem Weg gekommen ist, die Beziehungen zu seinen ehemaligen Feinden, die nun seine Verbündeten und Partner sind, zu reparieren. Tatsächlich treibt Deutschland die europäische Empfindlichkeit gegen den Krieg – entstanden durch Jahrhunderte der Gewalt und insbesondere die Zerstörungen des 20. Jahrhunderts – weiter als die Franzosen, Briten, Niederländer und andere dies tun.

Anstatt am 11. November die Veteranen zu ehren oder an den Waffenstillstand zu erinnern, begeht man in Deutschland an diesem Sonntag den Volkstrauertag, einen nationalen Trauertag, an dem sowohl den Soldaten als auch den Zivilisten gedacht wird, die im Krieg ums Leben gekommen sind, ebenso wie den Opfern gewaltsamer Unterdrückung. Die deutsche Gesellschaft hat aufgrund der NS-Zeit ein schwieriges Verhältnis zum Krieg. Dieses resultierte in einer generell pazifistischen Einstellung sowie einer Opposition gegen den Großteil aller bewaffneten Konflikte, was auch die mehrheitliche Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes einschließt, die sich häufig im Misstrauen gegenüber Soldaten in Uniform ausdrückt.

In dieser Hinsicht gibt es einen grundlegenden Unterschied zur gegenwärtigen Einstellung in den USA, wo selbst Gegner der jüngsten Militäreinsätze in Irak und Afghanistan deutlich bemüht waren, ihrer Unterstützung für den einfachen Soldaten Ausdruck zu verleihen, der zum Kämpfen und vielleicht auch zum Sterben entsendet wird.

Die deutschen Männer und Frauen in Afghanistan ziehen ohne die Unterstützung der Bevölkerung in den Krieg, und sie sind sich dessen bewusst, dass sie bei ihrer Rückkehr keine jubelnden Menschenmengen auf den Straßen erwarten werden, um sie zu Helden zu erklären. Deutschland hat der Heldenverehrung den Rücken gekehrt. Die Soldaten kämpfen allein.

„Dieses Gefühl der Wertschätzung, das bekommt man nicht, das Gefühl, dass die Leute stolz auf dich sind, wenn du deine Uniform trägst“, sagte Heike Groos, die über ihre Zeit als Militärärztin in Afghanistan geschrieben hat. „Junge Leute sterben. Junge Menschen werden schwer verletzt und man fühlt sich fehl am Platz und einsam bei dem Gedanken, dass niemand in Deutschland es versteht und es niemanden in Deutschland überhaupt interessiert.“

Das deutsche Militär wurde in den 1950er Jahren als Stütze des NATO-Bollwerks gegen die sowjetische Expansion wiederhergestellt, allerdings war es auf eine Funktion als reine Verteidigungsarmee beschränkt. Obwohl sie in der Katastrophenhilfe ausgebildet wurden und an Manövern teilnahmen, waren deutsche Streitkräfte bis zu ihrer Teilnahme am NATO-Einsatz im Balkan in den 1990er Jahren in keinerlei Kampfhandlungen verwickelt. Jetzt versucht das deutsche Militär sich auf die radikal veränderten Bedingungen einzustellen, welche die Berufssoldaten in Kämpfen in Afghanistan erwarten (Wehrpflichtige können nur dann entsendet werden, wenn sie freiwillig ihren Wehrdienst verlängern).

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite