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Friedrich August Ludwig von der Marwitz: Auszug aus dem Essay „Von den Ursachen der überhandnehmenden Verbrechen” (1836)

Innerhalb der fortschreitenden Diskussion um den Ausbau der schulischen Allgemeinbildung stellte sich der preußische Gutsherr Friedrich August von der Marwitz (1777-1837) in seinem Essay „Von den Ursachen der überhandnehmenden Verbrechen“ von 1836 im Zusammenhang mit der Abschaffung der Leibeigenschaft in Preußen entschieden gegen einen erweiterten Schulunterricht für die unteren sozialen Schichten. Der Autor, beinahe karikaturesker Inbegriff eines preußischen Reaktionärs, meinte, daß alles, was über den grundlegenden Unterricht von Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion hinausging, das gewöhnliche Volk nur verderben und so die Kriminalität begünstigen würde.

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Man wird vielleicht einwenden, daß, wenn die Kinder bis zu ihrer Einsegnung eine sorgfältige Schulbildung genießen, sie unmöglich gleich nachher in Masse in Schlechtigkeiten verfallen könnten.

An der Schulbildung aber fehlt es nun in unserer Provinz in den Dörfern gar nicht. Wie man vor dreißig Jahren unternahm, das Volk zu regenerieren (wie man es nannte), versäumte man die Schulen keineswegs, sondern fing vielmehr mit dem größten Eifer an, sie umzugestalten und den Unterricht zu vervielfachen, worin man auch bis jetzt fortgefahren ist. Man war aber der Meinung und ist es im allgemeinen noch, daß der Mensch, der am meisten wisse, auch der beste sei; Tugend, Gottesfurcht und ein ehrenwerter Charakter schienen als unzertrennliche Gefährten der Vielwisser betrachtet zu werden.

Statt daß bis dahin der Religionsunterricht als das einzige absolut Notwendige betrachtet wurde, daher auch fertiges Lesen der Bibel und des Gesangbuches und Schreiben für diejenigen, die es besonders bezahlten, wozu drei Stunden täglich, den Winter hindurch, vollkommen zureichten, wird jetzt deutsche Sprache, Rechnen bis zu den Brüchen und Proportionen, Geographie, Naturgeschichte, Botanik und allgemeine Geschichte gelehrt, auch vielerlei Verstandesübungen angestellt. In jeder Landschule kann man jetzt nicht nur über Präpositionen und Zeitwörter, sondern auch über Prosodie und Wortfolge dissertieren hören, Kapital- und Zinsennutzungen werden berechnet; die Kinder erklären deutlich, was die Meridiane und Parallelkreise sind, die heiße Zone, die Ursachen der langen und kurzen Tage, der Sonnen- und Mondfinsternisse usw.; sie wissen, daß ein Walfisch lebendige Jungen gebiert, und kennen die Giftpflanzen, Alexander den Großen und Dschingiskhan. Sie schreiben sämtlich gut, vorzüglich die Mädchen, die, nachdem sie die Schule verlassen, nie in ihrem Leben wieder eine Feder anrühren.

Daß neben diesen profunden Studien die einfachen Wahrheiten der Religion und die Erkenntnis der Pflichten sehr in den Hintergrund treten, ist natürlich; denn wie schnell lernt ein Kind, das mit allen den eben genannten Sachen geplagt wird, im Verhältnis zu diesen, die wenigen Antworten, die bei einer Prüfung über Religion und Pflichten nötig sind? Auch wurde diese bis vor wenigen Jahren gänzlich hintan gesetzt und dahin getrachtet, die Schullehrer von den Predigern unabhängig zu machen, welches auch zum Teil gelungen ist.

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