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Das Berlin-Ultimatum (27. November 1958)

Am 27. November 1958 richtete das sowjetische Außenministerium, auf Chruschtschows Rede vom 10. November folgend, eine Note an die Regierungen der drei Westalliierten. Diese Note, die heute als Berlin-Ultimatum bekannt ist, rekapituliert die Vorkriegsentwicklungen, die alliierte Kooperation während des Krieges sowie die Beziehungen der Alliierten in der Nachkriegszeit aus sowjetischer Perspektive. Sie wirft den USA, Großbritannien und Frankreich schwere Verletzungen der Bestimmungen verschiedener Vier-Mächte Abkommen, hauptsachlich des Potsdamer Abkommens, vor. Die sowjetische Regierung argumentiert, durch die Verletzung der Abkommen hätten die Westalliierten ihr Recht auf eine Präsenz in Berlin verwirkt. Die Note gab den Westalliierten sechs Monate Zeit, West-Berlin zu entmilitarisieren und zur „freien Stadt“ zu erklären. Vierzehn Jahre zuvor hatten sich alle vier Alliierten auf eine gemeinsame Verwaltung der Hauptstadt Berlin in Übereinstimmung mit dem „Protokoll betreffend die Besatzungszonen und die Verwaltung von ‚Groß-Berlin‘” vom 12. September 1944 geeinigt, welche sowohl eine sowjetische als auch eine westliche Präsenz in Berlin garantierte. Durch das Berlin-Ultimatum erklärte die sowjetische Regierung das Abkommen für „ungültig“.

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Note der Regierung der UdSSR an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, und der Vereinigten Staaten


Die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken wendet sich an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika als eine der Signatarmächte des Potsdamer Abkommens in der spruchreif gewordenen Frage der Lage Berlins.

Die Frage Berlins, das im Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik liegt, dessen westlicher Teil jedoch durch ausländische Besetzung von der DDR abgetrennt ist, berührt zutiefst nicht nur die nationalen Interessen des deutschen Volkes sondern auch die Interessen aller Völker, die in Europa dauerhafte Friedensverhältnisse herzustellen wünschen. Dort in der historischen Hauptstadt Deutschlands berühren sich unmittelbar zwei Welten und auf Schritt und Tritt ragen Barrikaden des «Kalten Krieges» auf. Seit vielen Jahren besteht in der in zwei Teile getrennten Stadt eine Atmosphäre ständiger Reibungen und Spannung.

Berlin, das Zeuge des großartigen Triumphs des gemeinsamen Kampfes unserer Länder gegen die faschistische Aggression war, ist jetzt zu einem gefährlichen Knoten der Gegensätze zwischen den Großmächten – den Alliierten im vergangenen Krieg geworden. Seine Rolle in den Beziehungen der Mächte kann mit einer glimmenden Zündschnur verglichen werden, die zu einem Pulverfaß gelegt worden ist.

Die daraus sich ergebenden Zwischenfälle, anscheinend sogar lokaler Bedeutung, können in der Atmosphäre der erhitzten Leidenschaften, des Argwohns und der gegenseitigen Befürchtungen einen Brand hervorrufen, den zu löschen schwierig sein wird.

Das ist das bedauerliche Finale, zu dem in den dreizehn Nachkriegsjahren die einstmals gemeinsam vereinbarte Politik der vier Mächte – der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs – hinsichtlich Deutschlands gelangt ist.

Um die wahre Bedeutung des Berlinproblems, vor dem wir heute stehen, richtig zu bewerten und die vorhandenen Möglichkeiten für die Normalisierung der Lage in Berlin festzustellen, ist es erforderlich, sich ins Gedächtnis zu rufen, auf welchen Wegen die Politik der Teilnehmermächte der Antihitlerkoalition hinsichtlich Deutschlands sich entwickelt hat.

Es ist bekannt, daß die USA sowie Großbritannien und Frankreich keineswegs gleich zur Schlußfolgerung kamen, daß die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion notwendig ist, um der Hitlerschen Aggression entgegenzutreten, obgleich die Sowjetregierung ständig Bereitschaft dazu an den Tag legte.

In den Hauptstädten der Weststaaten gewannen lange Zeit hindurch die Oberhand entgegengesetzte Bestrebungen, die in dem Zeitabschnitt des Münchener Abkommens mit Hitler besonders deutlich sichtbar wurden. In der Hoffnung, sich den deutschen Militarismus willfährig zu machen und ihn gegen Osten zu dirigieren, duldeten und begünstigten die Regierungen der Westmächte die von Hitler durchgeführte Politik der Erpressung und der Drohungen und die direkten Aggressionsakte Hitlerdeutschlands und seines Verbündeten, des faschistischen Italien, gegen eine Reihe friedliebender Staaten.

Erst als das faschistische Deutschland die kurzsichtigen Kalkulationen der Inspiratoren von München über den Haufen geworfen hatte und sich gegen die Westmächte kehrte, als die Hitlerarmee ihre Bewegung gegen Westen begann und Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland erdrückte und Frankreich zu Fall brachte, blieb den Regierungen der USA und Großbritanniens nichts anderes übrig als zuzugeben, daß sie sich verrechnet hatten, und den Weg der Organisierung gemeinsamen Widerstands mit der Sowjetunion gegen das faschistische Deutschland, Italien und Japan zu nehmen. Bei weitsichtiger Politik der Westmächte hätte diese Zusammenarbeit der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs viel früher, schon in den ersten Jahren nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, aufgenommen werden können, und dann hätte es keine Besetzung Frankreichs, kein Dünkirchen und kein Pearl Harbour gegeben. Dann wäre es möglich geworden, die Millionen Menschenleben zu erhalten, die die Völker der Sowjetunion, Polens, Jugoslawiens, Frankreichs, Englands, der Tschechoslowakei, der USA, Griechenlands, Norwegens und anderer Staaten hingaben, um die Aggressoren zu bändigen.

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