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Die roten Socken (24. Juni 1994)

Der unerwartete Erfolg der Nachfolgepartei der SED, der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), an den Wahlurnen im Osten Deutschlands bringt die etablierten (westlichen) Parteien in eine Zwickmühle: Ist Ächtung oder Integration angesagt? Der Aufsatz analysiert die Gründe für den Erfolg der PDS im Osten und die wechselnde Mitgliederbasis der Partei.

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Die Einheiz-Partei

Geächtet im Westen, im Osten gewählt – die Nachfolger der SED finden überraschend Zulauf. Verdruß über die Vereinigung, DDR-Nostalgie oder Sehnsucht nach dem Sozialismus – was macht die PDS attraktiv?



Am vergangenen Freitag, gegen 12.30 Uhr, begann im Bundestag ein vertrautes Ritual. Als der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer von der PDS ans Pult trat, verwandelte sich die Unionsfraktion in einen wütenden Haufen. Während Heuer über die SED-Vergangenheit seiner Partei sprach, regneten Zwischenrufe auf ihn nieder: „Schwachsinn“, „Unverschämt“.

Die PDS bringt das Blut der Konkurrenz in Wallung, mehr denn je. Am Sonntag wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag, die Nachfolgerin der SED könnte zwanzig Prozent der Stimmen bekommen. Ähnlich gut schnitt sie bei der Europawahl in einigen ostdeutschen Ländern ab. Bei Kommunalwahlen wurde die PDS oft stärkste Fraktion, zum Beispiel in Halle, Schwerin, Rostock, Neubrandenburg und Hoyerswerda.

Ein Gespenst geht um in Ostdeutschland. Feiert der Sozialismus ein Comeback, diesmal in demokratischem Gewand? Helle Aufregung herrscht in den Bonner Parteizentralen. Wie mit der PDS umgehen? Integrieren? Ächten? Die SPD zankt darüber, ob sie sich auf Koalitionen einlassen soll. Parteivize Wolfgang Thierse will Kooperationen in den Kommunen dulden, Parteichef Scharping versichert vorbeugend, die PDS bleibe ein politischer Gegner. Die CDU sieht schon die Volksfront der Weimarer Republik auferstehen. Kohls Stellvertreterin Angela Merkel wirft den Sozialdemokraten vor, sich „aus lauter Opportunismus der PDS an den Hals zu werfen“. Und CSU-Chef Theo Waigel schlägt eine harte Links-rechts-Kombination: Die PDS sei mit gleicher Entschiedenheit zu bekämpfen wie die Republikaner.

Die PDS, der Paria unter den Parteien, wird im Westen verkannt. Sie ist mehr als nur ein Ventil für Einheitsfrust. Und sie ist mehr als Gregor Gysi. Ihr Erfolg gründet auch auf einem eigenen sozialen Netz und der Pflege spezifisch ostdeutscher Milieus.

„Wir sind die Partei der Sozialen Gerechtigkeit“, lautet die Parole, die von den Betonwänden der Trabantenstädte widerhallt. Im Einsatz für die kleinen Leute will sich die PDS von niemandem übertreffen lassen. In Schwerin beispielsweise war es die PDS, die gegen die Erhöhung der Buspreise focht, gegen die Erhöhung der Garagenpachten, gegen die Erhöhung der Mieten und der Theaterpreise, für mehr Sozialwohnungen und so fort. Ob Kindertagesstätten oder Grünanlagensatzungen, alles interessiert die PDS, alles ist ihr Thema. Populismus? Na klar!

Ob politisches Kaffeetrinken auf dem Großen Dreesch, ob Fragestunde mit Landtagsabgeordneten in der Weststadt, ob „Gysi spricht“ in Neu Zippendorf, die PDS ist in der Stadt, sagt ein Schweriner Lokalreporter, „an jeder Ecke präsent wie ansonsten nur der Eiermann“. Der örtliche Kandidat der PDS, Gert Böttger, fährt eigens „jeden Tag mit der Straßenbahn, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen“. Sogar Kirchenräume hat Böttger betreten, um junge Christen für sich einzunehmen.

Weil die PDS überall und überall zugleich sein will, braucht sie Disziplin und Engagement und Mitarbeiter zuhauf. Die gibt es noch aus der alten Zeit. Der PDS gehören 1700 Schweriner an – gut dreimal soviel wie der CDU. Die Neugründung SPD zählt ein Fähnlein von 250 Aufrechten.

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