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Bismarcks Rede zur preußischen Indemnitätsvorlage (1. September 1866); Text des preußischen Indemnitäts-Gesetzes (14. September 1866)

Seit seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten 1862 lag Bismarck mit den Liberalen im preußischen Landtag im Streit über das Militärbudget und eine Reform des preußischen Heeres. Da die Liberalen mit ihren politischen Forderungen keinen Erfolg hatten, weigerten sie sich, den Staathaushalt zu bewilligen. Bismarcks Reaktion bestand darin, sich auf die „Lückentheorie“ zu berufen, die postulierte, dass in Ermangelung eines bewilligten Budgets die Staatsangelegenheiten weitergehen mussten, dass Steuern erhoben werden konnten, und dass die Staatsausgaben wie gewöhnlich ausgezahlt werden sollten. Selbst vor Preußens Sieg über Österreich in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 hatten die Liberalen nach Möglichkeiten für einen Kompromiss mit Bismarck zu suchen begonnen, und der Rückschlag, den sie genau am Tag der Schlacht in den preußischen Wahlen hinnehmen mussten, beschleunigte ihre Bereitschaft, einen Kompromiss zu erwägen. Im August 1866 brachte Bismarck die Indemnitätsvorlage im Landtag ein. Sie legalisierte rückwirkend die Haushalte von 1862 bis 1866. Am 3. September 1866 nahm der preußische Landtag die Vorlage an. Der erste Text ist ein Ausschnitt aus einer Rede, die Bismarck zwei Tage vor der Verabschiedung der Gesetzesvorlage hielt. Darin hält der Ministerpräsident ein doppeltes Friedensangebot bereit: versöhnende Worte für seine früheren Widersacher im Parlament und die Aussicht auf einen Frieden mit Österreich, der Preußens Hegemonie in Norddeutschland konsolidieren würde. Der zweite Text ist das Indemnitäts-Gesetz selbst.

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I. Rede Bismarcks zur Indemnitätsvorlage im Abgeordnetenhaus (1. September 1866)


Je aufrichtiger die Königliche Regierung den Frieden wünscht, um so mehr fühlen ihre Mitglieder die Verpflichtung, sich jedes Eingehens auf retrospektive Kritik zu enthalten, sei es Abwehr, seien es Angriffe. Wir haben in den letzten vier Jahren unseren Standpunkt von beiden Seiten häufig mit mehr oder weniger Bitterkeit oder Wohlwollen vertreten, keiner hat es in den vier Jahren vermocht, den andern zu überzeugen. Jeder hat geglaubt, recht zu handeln, wenn er so handelte, wie er es that. Ein Friedensschluß würde auch in den auswärtigen Verhältnissen schwerlich jemals zu Stande kommen, wenn man verlangte, daß ihm von einem von beiden Theilen vorhergehen sollte das Bekenntniß: „Ich sehe es jetzt ein, ich habe unrecht gehandelt.“ Wir wünschen den Frieden, nicht weil wir kampfunfähig sind in diesem innern Kampf, im Gegentheil, die Fluth fließt in diesem Augenblick mehr zu unsren Gunsten als vor Jahren; wir wünschen ihn auch nicht, um einer etwaigen künftigen Anklage auf Grund eines künftigen Verantwortlichkeits-Gesetzes zu entgehen; ich glaube nicht, daß man uns anklagen wird, ich glaube nicht, daß, wenn es geschieht, man uns verurtheilen wird, und wie dem auch sein möge, man hat dem Ministerium viele Vorwürfe gemacht, den der Furchtsamkeit noch nicht.

Wir wünschen den Frieden, weil unserer Meinung nach das Vaterland ihn im gegenwärtigen Augenblicke in höherem Grade bedarf, als früher; wir wünschen ihn und suchen ihn namentlich deshalb, weil wir glauben, ihn im gegenwärtigen Moment zu finden; wir hätten ihn früher gesucht, wenn wir früher hätten hoffen können, ihn zu finden; wir glauben ihn zu finden, weil Sie erkannt haben werden, daß die Königliche Regierung den Aufgaben, welche auch Sie in Ihrer Mehrzahl erstreben, nicht so fern steht, wie Sie vielleicht vor Jahren gedacht haben, nicht so fern steht, wie das Schweigen der Regierung über Manches, was verschwiegen werden muß, Sie zu glauben berechtigen konnte.

Aus diesem Grunde glauben wir den Frieden zu finden, und suchen ihn ehrlich; wir haben Ihnen die Hand dazu geboten und der Kommissionsvortrag giebt uns die Bürgschaft, daß Sie in diese Hand einschlagen werden. Wir werden dann die Aufgaben, die uns zu lösen bleiben, mit Ihnen in Gemeinschaft lösen; ich schließe von diesen Aufgaben Verbesserungen der inneren Erfüllung der in der Verfassung gegebenen Zusagen keineswegs aus. Aber nur gemeinsam werden wir sie lösen können, indem wir von beiden Seiten erkennen, daß wir von beiden Seiten demselben Vaterlande mit demselben guten Willen dienen, ohne an der Aufrichtigkeit des Andern zu zweifeln.

In diesem Augenblick sind aber die Aufgaben der auswärtigen Politik noch ungelöst, die glänzenden Erfolge der Armee haben nur unsern auf dem Spiele stehenden Einsatz gewissermaßen erhöht, wir haben mehr zu verlieren, als vorher, aber gewonnen ist das Spiel noch nicht; je fester wir im Innern zusammenhalten, desto sicherer sind wir, es zu gewinnen.

[ . . . ]

Wenn man oft gesagt hat: Was das Schwert gewonnen hat, hat die Feder verdorben, so habe ich das volle Vertrauen, daß wir nicht hören werden: Was Schwert und Feder gewonnen haben, ist von dieser Tribüne vernichtet worden.




Quelle: Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses 1866/67, Bd. 1, S. 173f.

Abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hg., Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, 3. bearb. Aufl., Bd. 2, 1851-1900. Stuttgart: Kohlhammer, 1986, S. 101-02.

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