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Die kaiserliche Botschaft Kaiser Wilhelms I. zur Sozialpolitik
(17. November 1881)

Obwohl Bismarck 1878 das Sozialistengesetz eingeführt hatte, nahm die sozialistische Bewegung zu, wie die Reichstagswahl 1881 verdeutlichte. Um die Peitsche der rechtlichen Unterdrückung und politischen Einschüchterung zu ergänzen, bot der Kanzler den deutschen Arbeitern das Zuckerbrot einer Sozialgesetzgebung – einer Reihe von paternalistischen Sozialreformen, die man als erste Arbeitsschutzgesetze in Europa bezeichnen kann. Dieses ehrgeizige Programm wurde in der hier auszugsweise wiedergegebenen kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 verkündet. Beachtenswert ist die Tatsache, dass Bismarck bei Bekanntgabe dieses neuen Kurses in der Sozialgesetzgebung über keine parlamentarische Mehrheit verfügte, mit der er sie verlässlich hätte verabschieden können. Über die gesamten 1880er Jahre hinweg musste er verbissen für sein Programm der Sozialreform kämpfen und im Verlauf Teile davon aufgeben.

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Verhandlungen des Reichstags.
V. Legislaturperiode. – Erste Session.
1881.


Eröffnungssitzung im Weißen Saale des königlichen Schlosses zu Berlin am Donnerstag den 17. November 1881.

In Gemäßheit der Allerhöchsten Verordnung vom 4. d. Mts. fand heute Nachmittag 1½ Uhr im Weißen Saale des hiesigen Residenzschlosses die feierliche Eröffnung des Reichstags statt.

[ . . . ]

Sobald im Weißen Saale die Abgeordneten zum Reichstage vollständig versammelt waren, erschienen unter Vortritt des Reichskanzlers, Fürsten von Bismarck, die Bevollmächtigten zum Bundesrath und stellten sich links von dem Throne auf.

Verhandlungen des Reichstags.

Der Reichskanzler hielt hierauf folgende Ansprache an die Versammlung:

Se. Majestät der Kaiser sieht Sich wider Erwarten durch Unwohlsein verhindert, die Session, wie es in der Allerhöchsten Absicht lag, Selbst zu eröffnen. Se. Majestät hat mir befohlen, Ihnen, geehrte Herren, Sein Bedauern hierüber auszusprechen, Sie im Namen der verbündeten Regierungen willkommen zu heißen und bei der mir aufgetragenen Eröffnung Ihrer Session eine Allerhöchste Botschaft mitzutheilen, welche ich die Ehre haben werde zu verlesen:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc., thun kund und fügen hiermit zu wissen:

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Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstags ohne Unterschied der Parteistellungen.

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