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Emil Lehmanns Petition zur Verbesserung der Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen (25. November 1869)

Emil Lehmann (1829-1898) war ein Dresdner Rechtsanwalt und der erste in das Dresdner Stadtverordnetenkollegium gewählte Jude (1865). Er vertrat außerdem von 1875 bis 1881 als Abgeordneter die Fortschrittspartei in der 2. Kammer des sächsischen Landtags. Lehmann wurde als Sohn eines Dresdner Kaufmanns geboren, er besuchte die israelitische Gemeindeschule und anschließend von 1842-48 die Kreuzschule in Dresden. Im Jahr 1848 zog er nach Leipzig, wo er bis 1851 Jura studierte. Er kehrte nach Dresden zurück, war ab 1863 als Rechtsanwalt in der sächsischen Hauptstadt tätig und richtete seitdem seine Aufmerksamkeit auch auf den Kampf für jüdische Rechte. Er wurde im Februar 1869 zum Gemeindevorsteher der Dresdner jüdischen Gemeinde gewählt. Als Befürworter der jüdischen Akkulturation trugen seine Bemühungen bereits erheblich zur (formalen) Gleichstellung der Juden in Sachsen am 3. Dezember 1868 bei – das heißt, vor der Verabschiedung des „Gesetzes zur Gleichberechtigung der Konfessionen“ durch den Norddeutschen Reichstag (3. Juli 1869). Er förderte später zudem die Gründung des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1893). Lehmanns Los im Königreich Sachsen war kein leichtes, denn damals lebten in Sachsen einige der fanatischsten Antisemiten des Deutschen Kaiserreichs. Lehmann beteiligte sich intensiv an der diesbezüglichen Pamphletpublizistik, die in den Jahren 1878-1882 blühte. Anfangs zeichneten sich Lehmanns Schriften durch argumentative Brillanz aus, doch in späteren Jahren waren sie von zunehmender Bitterkeit geprägt – und dies aus gutem Grund. Lehmann verlor 1883 seinen Sitz im Dresdner Stadtverordnetenkollegium durch eine Koalition antisemitischer „Reformer“ und Konservativer. In der folgenden Petition nutzt Lehmann seine juristische Sachkenntnis, um ein vernichtendes Urteil über die fortgesetzte rechtliche Diskriminierung gegen die Juden in Sachsen auszuarbeiten. Der Teufel steckt im Detail. Lehmanns abschließende Zeilen fassen zusammen, was das sächsische Parlament tun muss, um diese diskriminierenden Gesetze und Praktiken zu beseitigen.

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Die Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen.


(Petition an den Landtag des Königreichs Sachsen um Aufhebung der mit § 33 der Verfassungsurkunde in Widerspruch stehenden Bestimmungen. – Dresden, 25. November 1869.)

Durch Punkt II. des Gesetzes vom 3. Dezember 1868, nach welchem § 33 der Verfassungsurkunde nunmehr also lautet: „Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Glaubensbekenntniß. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf das religiöse Bekenntniß keinen Abbruch thun“ – ist der Grundsatz der Religionsfreiheit im Königreiche Sachsen zur prinzipiellen und verfassungsmäßigen Anerkennung gelangt, wie solche auch nachgehends durch das Bundesgesetz vom 3. Juli 1869 ausgesprochen worden ist.

Gleichwohl entspricht noch in einigen Punkten unsere vaterländische Gesetzgebung und Praxis diesem verfassungsmäßigen Grundsatze nicht allenthalben. Und wenn der ehrerbietigst Unterzeichnete zunächst von seinem konfessionellen Standpunkte als Israelit aus, sich gedrungen fühlt, auf diese, wie ihm scheinen will, der Abhülfe bedürftigen Momente hinzuweisen, so folgt er hierin nicht nur einem Pflichtgebot im Interesse seiner Glaubensgenossen, sondern hofft auch damit der Sache der Religionsfreiheit überhaupt förderlich zu sein.


I.

Die am 12. August 1869 erlassene Verordnung, die Wirkung der Gleichstellung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht betreffend, [G.- u. V.-Blt. von 1869. S. 239] verfügt „zur Beseitigung von Zweifeln und Mißverständnissen, welche in Bezug auf die Rückwirkung der Bestimmung unter Punkt II des obenangezogenen Gesetzes vom 3. Dezember 1868 und des Bundes-Gesetzes vom 3. Juli 1869 auf die landesgesetzlichen Vorschriften entstanden sind“, daß erledigt seien:

a) Gesetz und Verordnung vom 16. August 1838, bis auf eine § 2 gedachte Ausnahme hinsichtlich der Namen,
b) Die Verordnung vom 6. Mai 1839 über den Aufenthalt ausländischer Juden in Dresden und Leipzig,
c) § 13 des Gesetzes vom 2. Juli 1852,
d) eine Stelle im ersten Satz und der ganze zweite Satz im § 41 der Städte-Ordnung, wogegen (§ 2)
„es auch fernerweit bei der von den Obrigkeiten in dem bisherigen Maaße zu kontrolirenden Vorschrift bewenden soll, daß jeder in Sachsen wohnende Jude einen bestimmten erblichen Familiennamen und einen im bürgerlichen Leben und bei Rechtsgeschäften aller Art unabänderlich beizubehaltenden bürgerlichen Vornamen zu führen hat.“

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