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Lily Offenbacher teilt dem U.S. „Coordinator of Information” ihr Wissen über das „Euthanasieprogramm” mit (September 1941)

Im Herbst 1939 begannen die Hitlerbeauftragten Phillip Bouhler (1899-1945), Leiter der Kanzlei des Führers (KdF), und Dr. Karl Brandt (1904-1948), Begleitarzt des Führers, mit der Durchführung des sogenannten „Euthanasieprogramms“. Die Aktion wurde durch eine eigens für diesen Zweck geschaffene, halbstaatliche Zentrale geleitet, die sich in der Berliner Tiergartenstraße 4 befand und von deren Adresse später die häufig verwendete Bezeichnung „Aktion T4“ abgeleitet wurde. Das Programm zielte auf die Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ ab, eine Kategorisierung, die sich im Allgemeinen auf unheilbar oder erblich Erkrankte bezog, aber auch kriminelle und nicht-arische Patienten betraf. Durch einen Runderlass des Reichsinnenministeriums wurden alle Heil-und Pflegeanstalten dazu veranlasst, Informationen über ihre Patienten anhand von Meldebögen zu liefern. In Berlin entschieden dann T4-Gutachter, welche Patienten in eine der schließlich sechs Tötungsanstalten überführt werden sollten, wo sie durch Kohlenmonoxidvergiftung umgebracht wurden. Wie der folgende Bericht einer Zeitzeugin veranschaulicht, verbreiteten sich schnell Gerüchte über die „Euthanasieaktion“ unter der deutschen Bevölkerung. Nachdem eine Reihe von Vertretern der Kirchen und der Justiz Protest erhoben hatten, veranlasste Hitler die offizielle Einstellung der T4-Aktion im September 1941, die bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 70.000 Opfer gefordert hatte. Von nun an wurde das „Euthanasieprogramm“ in dezentralisiertem Rahmen fortgesetzt. Drei der Tötungsanstalten wurden außerdem für die Ermordung von über 20,000 arbeitsunfähigen KZ-Häftlingen weitergenutzt. Der Kern der T4-Mitarbeiter stellte seine Fachkompetenz der nun beginnenden industriellen Judenvernichtung in Osteuropa zur Verfügung.

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VERTRAULICH

BERICHT


Frau Lily Offenbacher, 4802 - 43rd Street, Woodside, Long Island City, ist die jüdische Witwe eines Mannes, der mit „Der gerade Weg“ in Verbindung stand, einer von Dr. Fritz Gerlich herausgegebenen und von den Jesuiten unterstützten katholischen Zeitung in München, die den Nazis von 1932/33 gegenüber sehr kritisch eingestellt war. Sie geriet daher sofort nach der Machtübernahme durch die Nazis im März 1933 unter Beschuss. Dr. Gerlich wurde im Gefängnis ermordet.

Frau Offenbacher wurde uns von Herrn Flügge empfohlen und von Mrs. Stewart befragt. Sie macht einen sehr verlässlichen Eindruck, und ihre Aussagen scheinen korrekt zu sein. Sie selbst ist noch ziemlich nervös, da sie kurz vor ihrer Abreise aus Deutschland im Gefängnis war. Sie gibt Folgendes zu Protokoll:

„Ich habe Deutschland im Juni verlassen. Ich flog zuerst nach Lissabon und setzte meine Reise per Schiff fort. Ich konnte nicht eher aus Deutschland ausreisen, weil ich mich um meine kranke Mutter kümmern musste, die in der Zwischenzeit gestorben ist. Ich wollte auch meinen alten Vater mit mir nehmen, und wir hatten endlose Schwierigkeiten mit unseren Pässen.

Während der vergangenen zwei Jahre habe ich ununterbrochen versucht, mir Informationen über die deutsche Kriegsindustrie zu beschaffen. Ich habe verlässliche Informationen über München und Umgebung. Diese Informationen könnten der R.A.F. nützlich sein, denn während der Luftangriffe auf München im vergangenen August und September und erneut am 8. November wurde keine einzige Militäranlage getroffen. Ich habe seither erfahren, dass außerhalb Deutschlands berichtet wurde, die Angriffe hätten BMW gegolten; sollte es einen solchen Plan gegeben haben, dann war er ein totaler Fehlschlag. Die getroffenen Ziele umfassten: das Restaurant Bauerngirgl; das Wohngebiet im Stadtzentrum; das Haus des Eisenwarenhändlers Dandl, dessen Haus gegenüber dem Sternecker Bräu liegt, wo sich die Nazis zum ersten Mal trafen. War der Bräu das Ziel, so ging der Angriff knapp daneben. In München fielen mehrere Bomben auf den Englischen Garten und den Bayernring.

Die wichtigsten Orte neben BMW (das anscheinend überhaupt nicht getarnt war) sind die große Munitionsfabrik in Wolfratshausen; die Eismaschinenfabrik von Linde in Höllriegelskreuth, beide im Isartal südlich von München, die neue Fabrik am Ostfriedhof und schließlich der große Munitionsbetrieb Friedrich Deckel in Mittelsendling. Die Fabrik in Mittelsendling erzeugt wichtige Gewehr- und Kanonenbestandteile, hauptsächlich mechanische Federn u.s.w.

Die Wolfratshausener Fabrik wurde 1935 errichtet und ist vollständig unterirdisch. Lediglich Eisenbahnschienen und Kräne sind oberirdisch und sie sind gut verborgen zwischen den hohen Bäumen der umgebenden Wälder. Die dort tätigen Arbeiter sind überwiegend nach Abbüßung eines Teils ihrer Strafe aus der Haft entlassene und für den verbliebenen Teil zwangsverpflichtete Häftlinge. Sie leben auf dem Gelände, das von einem Stacheldrahtzaun umgeben ist. Die Fabrik, welche die größte in Süddeutschland sein soll, liegt zwischen der Isar und Loisach. Ruderern ist es verboten, dort an Land zu gehen. Ich habe es trotzdem getan.

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