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Europäisches Währungssystem (6. Dezember 1978)

Bundeskanzler Helmut Schmidt, einer der Architekten des Europäischen Währungssystems (EWS), fasst in seiner Rede vor dem Bundestag nochmals die Gründe für dessen Zustandekommen zusammen und erklärt die Unterschiede zum bisherigen System des Währungsverbundes, auch „Währungsschlange“ genannt, das nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems* eingeführt worden war. Die ursprüngliche „Währungsschlange“ beabsichtigte, die Bandbreite der Wechselkursschwankungen auf 2,25 % zu begrenzen und somit stabile Wechselkurse zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu gewährleisten. Ein übergeordnetes Ziel war es, die Geld- und Kreditpolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren. Das Festschreiben nominaler Wechselkurse genügte allerdings nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Die „Schlange“ blieb bis zum 1. Januar 1979 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie von dem EWS abgelöst, das Schmidt in seiner Rede beschreibt. Als Teil des EWS wurde eine Europäische Rechnungseinheit, der ECU eingeführt.

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Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt über die Ergebnisse des Europäischen Rates in Brüssel am 6. Dezember 1978


[ . . . ] Nach vielfältigen Arbeiten der letzten Wochen und Monate haben alle neun Mitgliedstaaten gestern in Brüssel gemeinsam beschlossen, dieses System zum 1. Januar 1979 einzuführen. Die Texte sind heute nacht veröffentlicht worden und werden alsbald auch dem Bundestag zur Verfügung stehen.

Dieses Europäische Währungssystem hat, wie ich schon sagte, das Ziel, ein höheres Maß an Währungsstabilität herbeizuführen, und dies sowohl zwischen den einzelnen Währungen als auch für jede einzelne Währung nach innen. Man kann sagen, es sei ein grundlegendes Element in einem umfassenderen Konzept, das auf nachhaltiges Wachstum in Preisstabilität, auf eine schrittweise Rückkehr zur Vollbeschäftigung und auf Verringerung regionaler Disparitäten gerichtet ist.

Dieses gemeinsame Währungssystem wird die wirtschaftspolitische Konvergenz innerhalb der Gemeinschaft erleichtern und dem Prozeß der Europäischen Union Impulse geben. Wir erwarten aber auch, daß dieses System eine stabilisierende Wirkung ausüben wird auf die internationalen, über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus gerichteten Wirtschafts- und Währungsbeziehungen. Es wird zweifellos insofern in gleicher Weise im Interesse der Industrieländer wie der Entwicklungsländer liegen.

Wenn ich sagte, daß neun Staaten dies gemeinsam beschlossen haben, so ist zu betonen, daß es bei drei Staaten eine Reservation gibt bezüglich des Mitmachens bei einem bestimmten Teil. Wie erwartet, hat das Vereinigte Königreich erklärt, sich gegenwärtig noch nicht am gemeinsamen Wechselkurs- und Interventionsmechanismus beteiligen zu können. Die italienische Regierung und ebenso die irische Regierung haben erklärt, daß sie Bedenkzeit brauchen, um in ihren Kabinetten und mit den sie tragenden politischen Kräften zu Hause darüber zu beraten, ob sie sich jetzt zum 1. Januar an dem gemeinsamen Wechselkurs- und Interventionssystem beteiligen können. Wir erwarten die Stellungnahme dieser beiden Regierungen im Laufe der nächsten Woche. [ . . . ]

Das unvorhergesehene und bei der Konstruktion des Gemeinsamen Marktes nicht berücksichtigte Auseinanderfallen der Währungen hat eine Reihe von Gefährdungen ausgelöst. Wir haben mit dem – mit dem für den Nichthistoriker kaum noch verständlichen Wort „Schlange" bezeichneten – Währungsverbund versucht, dem entgegenzutreten. Das ist innerhalb einer kleineren Zahl von Gemeinschaftsländern auch möglich gewesen. Diejenigen, die an diesem Währungsverbund, „Schlange" genannt, nicht teilgenommen haben, sind dabei nicht nur glücklich gefahren.



* Das Bretton Woods System wurde 1944 in der gleichnamigen Stadt in New Hampshire (USA) ausgearbeitet. Es sah eine Neuordnung der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Einführung eines Währungsregimes mit festen Wechselkursen vor. Der US-Dollar war die Leitwährung; der US-Dollar war wiederum an den Goldpreis gebunden. Das Bretton Woods System fiel 1971 auseinander, blieb aber offiziell bis 1973 in Kraft. Im Unterschied zur Währungsschlange, die nur die ursprünglich sechs und ab 1973 neun Mitgliedstaaten der EG umfasste, war das System von Bretton Woods ein umfassendes internationales Währungssystem, dem allerdings die kommunistischen Staaten nicht angehörten – Hg.

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