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Großbritannien bleibt euroskeptisch (2. Januar 1973)

Nachdem Frankreich das Veto gegen eine Mitgliedschaft aufhob, wurde Großbritannien am 1. Januar 1973 zusammen mit Dänemark und Irland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Der Autor betont jedoch, dass sowohl die Labour Partei als auch weite Teile der Bevölkerung diesem Beitritt weiterhin ablehnend gegenüberstehen.

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Mehr Trauermarsch als Europa-Fanfare
Großbritannien am Tag des Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft


Sollte sich der Einzug Großbritanniens in die Europäische Gemeinschaft als der geschichtliche Wendepunkt erweisen, den Macmillan vor zwölf Jahren vorausgesagt hat, dann gewiß nicht, weil das britische Volk es so wollte. Noch am Vorabend des Beitritts, der immerhin seit ein paar Monaten bereits ein unabänderliches, vom Parlament besiegeltes Faktum ist, hatte nahezu ein Viertel der britischen Wählerschaft keine Meinung oder keine Ahnung. 39 Prozent waren nach wie vor dagegen und nur 38 Prozent dafür. Angesichts der bestenfalls gleichgültigen, vorwiegend mürrischen und zum Teil feindseligen Stimmung ist es nicht verwunderlich, daß die Animosität gegen das als „Fanfare für Europa" aufgezogene Festival, dessen Ankündigung schon inner- und außerhalb des Parlaments als ein psychologischer Mißgriff attackiert worden war, noch zugenommen hat.

Auf eine Unterhausanfrage des Labourabgeordneten Hamilton an den Premier, was er für den größten Fehler seiner Regierung halte, hat Heath die schneidende Antwort gegeben: „Unterschätzt zu haben, in welchem Ausmaß die Labour Party, einschließlich ihrer Führer, ihre europäischen Verpflichtungen verraten würde." Der sonst so rasch reagierende Labourführer Wilson brauchte geraume Zeit, bevor er zurückschlug mit der Gegenanklage, Heath habe „zynisch und bewußt sein Wahlversprechen gebrochen, nicht ohne die volle Zustimmung des britischen Volkes dem Gemeinsamen Markt beizutreten".

Da Heath mit diesem auf einer Zitatenfälschung beruhenden Argument seit langem vertraut ist, war es leicht für ihn, in diesem parlamentarischen Schlagabtausch die Oberhand zu behalten: „Wenn Sie eine Mehrheit von 112 Stimmen für den Europa-Beitritt gehabt hätten, wären Sie der erste gewesen, sich damit zu brüsten, wie Sie es in der Tat getan haben, als Sie Ihren eigenen mißlungenen Versuch gemacht haben." Es war der letzte parlamentarische Zusammenstoß vor dem Beitrittsdatum des 1. Januar 1973 und entsprach exakt dem eisigen politischen Klima, in dem sich seit der Abkehr Wilsons von seinem eigenen Europa-Kurs das Verhältnis zwischen Premier und Oppositionsführer abspielt.

Während die proeuropäische Wende Wilsons nicht exakt datierbar ist, da es der Abschluß eines sich relativ langsam vollziehenden Prozesses war, geht der Rückfall Wilsons in seine alte Feindseligkeit gegen den Beitritt, die sich auf dem Parteitag von 1962 bereits manifestiert hatte, auf ein spezifisches Datum zurück. Dieser Rückfall ist die Niederlage in den Unterhauswahlen vom 18. Juni 1970, obwohl dieses Debakel überhaupt nichts mit dem Europakurs zu tun hatte.

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