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Rosa Luxemburg, „Brauchen Wir Kolonien?” (1899)

Auf der Basis von Handelsstatistiken stellt Rosa Luxemburg (1871-1919) hier die einfache Frage, ob Kolonialbesitzungen wirklich im Interesse der deutschen Wirtschaft seien. Luxemburgs skeptische Einstellung zur deutschen Rüstungspolitik und ihre antiimperialistische Haltung machten sie zu einer heftig umstrittenen Politikerin. Für ihre Meinungsaüßerungen wurde sie mehrmals zu Haftstrafen verurteilt.

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Die neuen Flotten- und Kolonialpläne werden bekanntlich vor allem mit den Interessen unseres Handels begründet. Demgegenüber muß man immer und immer wieder mit Mr. Bounderby aus Dickens „Harten Zeiten“ rufen: Tatsachen und Zahlen! Zahlen und Tatsachen!

Die neuesten statistischen Daten über Deutschlands auswärtigen Handel, veröffentlicht in der offiziellen „Statistik des Deutschen Reichs“, werfen wieder ein sehr interessantes Schlaglicht auf die Frage. Unser Warenverkehr mit den einzelnen Weltteilen stellte sich 1898 dar:

in 1000 Mark
Einfuhr von
Ausfuhr nach
Europa
3577999
3429917
Amerika
1329216
541774
Asien
339336
172157
Afrika
101168
67362
Australien
88295
35081

Mehr als neun Zehntel unseres gesamten Außenhandels entfallen also auf die europäischen Länder und Amerika, mit denen wir weder mittels Torpedobooten die Handelspolitik angeknüpft haben noch sie auf diesem Wege erweitern oder befestigen können. Die Ausdehnung unseres Warenverkehrs mit diesen Ländern stand vielmehr immer in direktem Zusammenhang mit unserer Handelspolitik. Charakteristisch hierfür ist im besonderen auch wieder der Rückgang unserer Ausfuhr nach Amerika von 609 Millionen Mark im Jahre 1897 auf 541,8 Millionen M im Jahre 1898, zweifellos infolge der prohibitiven Zollpolitik für Industrieerzeugnisse, die auf Seiten der Vereinigten Staaten ein Korrelat zu unserer agrarischen Schutzzöllnerei darstellt.

Noch interessanter ist es aber, zu erfahren, daß auch in dem Erdteil, wo wir bereits Kolonien haben, diese „Schutzgebiete“ für unseren Handel nur im geringsten Maße in Betracht kommen. Der deutsche Warenverkehr mit den wichtigsten Gebieten Afrikas entwickelt sich im letzten Jahrzehnt folgendermaßen:

in Millionen Mark
Einfuhr von
Ausfuhr nach
1889
1898
1889
1898
Ägypten
2,0
24,6
2,9
11,7
Kapland
13,6
19,8
7,5
14,7
Britisch-, Französisch- und
Portugiesisch-Westafrika
16,1
33,4
4,4
11,3
Britisch-, Französisch- und
Portugiesisch-Ostafrika
2,9
5,5
1,3
3,0
Deutsch-West- und -Südwestafrika
4,4
3,8
4,2
7,3
Deutsch-Ostafrika
0,3
0,6
0,3
3,3

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