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Ein liberaler westdeutscher Journalist lobt den Fortschritt in der DDR (1986)

Als dezidierter Unterstützer der Entspannungspolitik zwischen Ost und West entwirft der liberale Journalist Theo Sommer ein verhältnismäßig positives Bild der Fortschritte innerhalb der DDR. Dieses Bild betont die Fortschritte im Bereich des Konsums und bestärkt damit den Eindruck von der Stabilität der SED-Diktatur.

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Vor 22 Jahren entdeckten die drei ZEIT-Reisenden einige Ansätze zum Wandel: magere Anzeichen beginnenden Wohlstandes; Versuche einer neuen ökonomischen Politik, um Schluß zu machen mit Stalins Verwaltungswirtschaft und statt dessen die materielle Interessiertheit des einzelnen als Hebel des Fortschritts zu nutzen; eine bemessene Lockerung auf dem Felde der Kunst und der Literatur; die allmähliche Herausbildung eines separaten DDR-Staatsbewußtseins auch. Erste Anzeichen – aber der vorherrschende Eindruck war doch: Da bewegt sich wenig. Es herrschten Stagnation, Zaghaftigkeit, trübes Grau.

DDR 1986: Sie ist von alledem weltenweit entfernt. Es herrscht Bewegung statt Stagnation, die Zaghaftigkeit hat einer selbstbewußten Gelassenheit Platz gemacht, das Grau weicht überall freundlicheren Farben, die niederdrückende Trübsal ist verflogen. Keine Spur von Kontaktscheu mehr bei den Funktionären. Keine Aggressivität mehr im Gespräch, nicht einmal in der Kontroverse. Keine plumpe Agitation. So ähnlich wie der Rostocker SED Bezirkssekretär Ernst Timm haben es viele gesagt: «Damals, ja, da haben wir euch agitiert. Die Zeit ist weitergegangen, vieles ist realer geworden. Es läßt sich besser miteinander reden, wenn man den anderen Standpunkt kennt, ohne den eigenen aufzugeben.»

Es gibt noch Plakate, Transparente und Propagandabanner, zumal nach dem XI. Parteitag der SED, aber es sind sehr viel weniger geworden. Manche sind so formuliert, daß sie den Regeln mindestens der bürgerlichen Grammatik ins Gesicht schlagen («Fest auf dem Kurs der Hauptaufgabe»). Bei anderen stimmt es mit der Logik nicht so ganz. «Bis zur Jahrtausendwende eine Welt ohne Atomwaffen» legt jedenfalls die Erkundigung nahe, ob eigentlich danach die Kernwaffenarsenale wieder aufgefüllt werden sollen. Doch müssen wir die Losungen wohl auch nicht zu ernst nehmen. Die DDR-Bürger lassen sie noch unbeeindruckter an sich abrieseln als der durchschnittliche Bundesbürger die Fernsehwerbespots. Und parteioffiziell wird der «Transparentismus» der Übereifrigen heute eher belächelt: «Transparenz brauchen wir, nicht Transparente».

Vor allem wirkt das Land bunter, seine Menschen sind fröhlicher geworden (obwohl einer der jüngeren ZEIT-Reisenden, der die heutigen Zustände nicht aus eigener Anschauung mit den früheren vergleichen kann, rasch zu dem Urteil fand, die DDR mache einen «unfrohen» Eindruck). Zumal die Jungen sind von ihren Altersgenossen im Westen schwer zu unterscheiden; die Abiturklasse, die wir im mecklenburgischen Bad Doberan besuchten, hätte genauso gekleidet auch im Gymnasium von Bad Kissingen oder Bad Tölz sitzen können. Die Jugend trägt Levis, T-Shirts mit westlichem Aufdruck, viel Weiß. Ein erheblicher Teil stammt aus dem kapitalistischen Ausland – regulär importiert, von Verwandten mitgebracht oder im Intershop gegen – weiß-der-Herrgott-wie-ergatterte – Westmark erstanden.

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