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Sächsische Volkspartei, Gründungsprogramm (19. August 1866)

Die von August Bebel (1840-1913) und Wilhelm Liebknecht (1828-1900) angeführte Sächsische Volkspartei vertrat die Interessen der Arbeiterbevölkerung, doch ihr ursprüngliches Programm legte den Schwerpunkt auf Demokratie, nicht Sozialismus. Es forderte allgemeines Wahlrecht für Männer, nicht nur bei Reichstags-, sondern auch bei Landtags- und Gemeindewahlen. Außerdem befürwortete es starke parlamentarische und demokratische Institutionen, die deutsche Einheit (einer besonderen Prägung), die Aufhebung aller Klassenprivilegien, kostenlose Volksbildung und unabhängige Rechtsverfahren. Die Entstehungsgeschichte der Partei und ihr Programm spiegelten die großdeutsche und demokratische Orientierung ihrer Hauptwählerschaft wider. Im Jahr 1866 übte insbesondere im preußisch besetzten Sachsen (aber nicht nur dort) ein Programm große Anziehungskraft aus, das die „Eroberung“ Deutschlands durch Preußen und Bismarcks Konflikt mit dem preußischen Parlament verurteilte. Die Sächsische Volkspartei war die Vorläuferin des Eisenacher Flügels der Sozialdemokratie (ebenfalls von Bebel und Liebknecht angeführt), der allmählich die Vorherrschaft über den Lassalleschen Flügel gewann, nachdem die beiden Gruppierungen sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammengeschlossen hatten.

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Forderungen der Demokratie

1. Unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht des Volkes. Allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht mit geheimer Abstimmung auf allen Gebieten des staatlichen Lebens (das Parlament, die Kammern der Einzelstaaten, die Gemeinden usf.). Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Ein mit größter Machtvollkommenheit ausgestattetes Parlament, welches namentlich auch über Krieg und Frieden zu entscheiden hat.

2. Einigung Deutschlands in einer demokratischen Staatsform. Keine erbliche Zentralgewalt. – Kein Kleindeutschland unter preußischer Führung, kein durch Annexion vergrößertes Preußen, kein Großdeutschland unter österreichischer Führung, keine Trias. Diese und ähnliche dynastisch-partikularistischen Bestrebungen, welche nur zur Unfreiheit, Zersplitterung und Fremdherrschaft führen, sind von der demokratischen Partei auf das entschiedenste zu bekämpfen.

3. Aufhebung aller Vorrechte des Standes, der Geburt und Konfession.

4. Hebung der leiblichen, geistigen und sittlichen Volksbildung. Trennung der Schule von der Kirche, Trennung der Kirche vom Staat und des Staates von der Kirche, Hebung der Lehrerbildungsanstalten und würdige Stellung der Lehrer, Erhebung der Volksschule zu einer aus der Staatskasse zu erhaltenden Staatsanstalt mit unentgeltlichem Unterricht. Herbeischaffung von Mitteln und Gründung von Anstalten zur Weiterbildung der der Volksschule Entwachsenen.

5. Förderung des allgemeinen Wohlstandes und Befreiung der Arbeit und der Arbeiter von jeglichem Druck und jeglicher Fessel. Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse, Freizügigkeit, Gewerbefreiheit, allgemeines deutsches Heimatsrecht, Förderung und Unterstützung des Genossenschaftswesens, namentlich der Produktivgenossenschaften, damit der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ausgeglichen werde.

6. Selbstverwaltung der Gemeinden.

7. Hebung des Rechtsbewußtseins im Volke: Durch Unabhängigkeit der Gerichte, Geschworenengerichte, namentlich auch in politischen und Preßprozessen; öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren.

8. Förderung der politischen und sozialen Bildung des Volkes durch freie Presse, freies Versammlungs- und Vereinsrecht, Koalitionsrecht.



Quelle: August Bebel, Aus meinem Leben. Berlin: Dietz, 1988, S. 127-28.

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