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Konservativer Parteiführer Otto von Helldorff-Bedra verteidigt Bismarcks antisozialistische Gesetzgebung (16. September 1878)

Im Gegensatz zu den Liberalen, die gegenüber Bismarcks Sozialistengesetz Vorbehalte äußerten, waren die Konservativen entgegenkommender. In der Debatte vom 16. September 1878 benutzt der Fraktionsführer der Deutschkonservativen Partei Otto von Helldorff-Bedra (1833-1908) sein rhetorisches Talent, um zwischen legitimen Arbeiteranliegen – also den „so genannten sozialen Fragen“, wie er es formuliert – und den Prinzipien des Klassenhasses zu unterscheiden, die angeblich die Grundlage der Sozialdemokratie bilden. Indem er Letztere mit dem internationalen Kommunistenbund identifiziert, setzt Helldorff sowohl praktische Argumente als auch moralische Appelle ein, um Unterstützung für die repressive Gesetzgebung zu gewinnen, die nach ihrer Verabschiedung von 1878 bis 1890 in Kraft blieb.

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In dem deutschen Charakter liegt ein tiefer Zug von Humanität, ein hoher Idealismus; zugleich damit vielleicht auch die Neigung, praktische Rücksichten außer Ansatz zu lassen. Nur so erklärt es sich, daß man fortgesetzt die humanen Bestrebungen zur Besserung der Lage der arbeitenden Klasse, daß man fortgesetzt alle Bestrebungen zur Lösung der sogenannten sozialen Fragen, für die wir alle ein Interesse haben, verwechseln kann mit der deutschen Sozialdemokratie, mit dem internationalen Kommunistenbund; das sind doch durchaus grundverschiedene Dinge. Ist denn etwa diese Agitation in Deutschland hervorgegangen und angeregt worden von Leuten, die in mühevoller Arbeit für das Wohl des Volkes ihr Leben verbracht haben? Nein! Ich sage ganz offen, an der Wiege der deutschen Sozialdemokratie hat der unbefriedigte Ehrgeiz und der Haß der Demagogen gestanden. (Sehr richtig!) Von allen Ausführungen, die der Herr Vorredner gebracht hat, hat gewiß eine mich und meine Freunde auf das allerwärmste berührt; das ist nämlich die, daß schließlich die Überwindung der Sozialdemokratie nur auf dem Boden der Religion möglich sei. Ich möchte aber auch sagen, es ist dies fast die einzige sachliche Ausführung gewesen, der ich mich anschließen kann. Ich bin wie er überzeugt, daß nur die religiöse Auffassung von Beruf und Arbeit, nur die christliche Humanität die Sozialdemokratie innerlich überwinden kann; aber daraus die Folgerung zu ziehen, daß ein Präventivgesetz, wie wir es wollen, unwirksam und unmöglich sei, ist meines Erachtens nicht richtig. Alle erziehenden Mittel können nur wirken, wenn die verwildernde Agitation vorher beseitigt ist, und das ist der Endzweck und die ganz präzis gestellte Aufgabe dieses Gesetzes. Freilich, meine Herren, müssen wir uns sagen, zur Beseitigung dieser Verwilderung gehören noch verschiedene Forderungen auf anderem Gebiete; da liegen noch große Aufgaben vor uns: ich erinnere nur an die Fragen der Sittenpolizei, an das Schankwesen, an die Skandaltheater, jene Schmutzpresse, die wirklich den Geist unseres Volkes vergiften; das sind Dinge, die gleichzeitig mit angegriffen werden müssen. (Hört!) Wir dürfen ferner nicht außer acht lassen, daß der Klassenhaß, auf den die Sozialdemokratie wesentlich ihre Hoffnung baut, daß die ganze feindliche Stellung der Gesellschaftsklassen, die sich innerhalb der Nation entwickelt hat, auch ihren materiellen Hintergrund und materielle Ursachen hat. Wer kann es leugnen, daß ein gewisses einseitiges Bestreben seit langen Zeiten die Geister beherrscht hat, eine einseitige Begünstigung der Individualisierung auf geistigem wie auf materiellem Gebiet? Wir dürfen uns nicht wundern, daß jetzt die Zeit gekommen ist, wo, im Gegensatz zu jener Einseitigkeit der Bestrebungen, die Notwendigkeit hervortritt, das Interesse der Gesamtheit in gerechtem Maße wieder geltend zu machen. Im tiefsten innern Zusammenhang mit der ganzen Frage steht

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