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Friedrich Kapp, ein nationalliberaler Reichstagsabgeordneter, spricht sich gegen „kolonialen Chauvinismus” aus (22. Oktober 1880)

Nicht zuletzt aus innenpolitischem Kalkül reagierte ein widerstrebender Reichskanzler Bismarck 1884-1885 auf die öffentlichen Forderungen nach Kolonien. Wenngleich Bismarcks Entscheidung, beim „Kampf um Afrika“ mitzumischen, offensichtlich sehr plötzlich kam, war die Parole der Kolonialisten – dass Deutschland Kolonien besitzen müsse, um als Großmacht anerkannt zu werden – bereits viele Jahre zu vernehmen. Doch diese Ansicht war nicht unumstritten, selbst in dieser frühen Phase und in Parteien, die eine deutsche Expansionspolitik generell unterstützten. In diesem Vortrag an den Jahreskongress Deutscher Volkswirte spricht der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Friedrich Kapp (1824-1884) für diejenigen, die solchen Überseeabenteuern überhaupt nichts abgewinnen können. Kapp betont sowohl die Unrentabilität von Kolonien als auch ihre negativen Auswirkungen auf die deutsch-britischen Beziehungen.

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Ich komme jetzt auf einen Punkt, den unsere Kolonial-Chauvinisten nicht gern in den Vordergrund stellen. Sie entschuldigen sich gewissermaßen damit, daß sie sagen: wir wollen uns ja nur so sachte in’s Kolonialwesen hineinschieben und uns erst allmählich festsetzen. Selbst die Engländer werden ein Einsehen haben, und weil sie wissen, daß wir brave Leute sind, uns ruhig gewähren lassen. Nein, meine Herren, das geht nicht so, zu diesem paradiesischen Zustande gehören zwei: Einer, der es sagt, und ein anderer, der es glaubt; aber glauben tut uns das niemand. Die ganze Welt betrachtet uns mit Mißtrauen, und die Engländer erst recht. Überhaupt kann sich wohl ein Privatmann da, wo er eine günstige Gelegenheit erspäht, in eine neue und größere Stellung hineindrücken; ein Staat, eine Großmacht aber muß mit allen ihren Machtmitteln eintreten, wenn sie eine neue Position erringen und behaupten will. Es darf ihr dann selbst auf einen Krieg nicht ankommen, und wenn sie ihn nicht will, so wird er ihr von ihren mißgünstigen Nachbarn schon aufgedrängt werden. Aber diese sich ganz von selbst verstehende Perspektive schweigen unsere would-be-Kolonisatoren wohlweislich tot. Sie denken, erst drücken wir unsere Wünsche durch, und dann mögen die anderen weiter sehen. Ich will diesem Verhalten gegenüber offen meine Überzeugung dahin aussprechen, daß wir, ohne stets auf Krieg gerüstet zu sein, und zwar auch auf einen Seekrieg, den wir möglicherweise Tausende von Meilen von der Heimat zu führen haben, nie eine Kolonie gründen, geschweige denn behaupten können. Und wenn wir in einem solchen Kriege unglücklich sind, wird dann etwa das Mutterland nicht in Mitleidenschaft gezogen werden?

Ich kenne schon im voraus die Antwort, die mir auf diese bescheidene Frage zuteil werden wird. Sie überhaupt nur stellen, heißt in den Augen unserer Kolonial-Chauvinisten soviel als schlechter Deutscher, Zweifler an unserem nationalen Berufe, Verkleinerer unseres Volkes, wenn nicht gar Reichsfeind sein. Derartige persönliche Anklagen mögen füglich unerwidert bleiben, da sie keine sachlichen Widerlegungen sind. Wir Deutschen aber haben viel wichtigere und dringendere Aufgaben zu erfüllen, als uns unnötigerweise Verlegenheiten auf den Hals zu laden, als mit fremden Weltteilen anzubinden und Abenteuer zu suchen, die leicht mit ganz überflüssigen Kriegen enden können. Alles, was wir in fremden Weltteilen brauchen, sind Kohlen- und Flottenstationen zum Schutze unseres Handels; was darüber ist, ist vom Übel.



Quelle: Bericht des Referenten Dr. Kapp, in Bericht über die Verhandlung des 19. Kongresses Deutscher Volkswirte in Berlin am 21., 22. und 23. Oktober 1880, herausgegeben von M. Broemel. Berlin, 1880, S. 110-49, hier S. 129-30.

Abgedruckt in Hans Fenske, Hg., Im Bismarckschen Reich 1871-1890. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S. 258-59.

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