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Volksschüler als Laufburschen und Hilfsarbeiter (1878-1890)

Sozialreformer erkannten zwar, wie nachteilig sich Kinderarbeit auf die Gesundheit und Schulleistung der Kinder auswirkte, doch sie mussten auch die wirtschaftlichen Zwänge armer Familien berücksichtigen. Die Beobachtungen eines Volkschullehrers in Hamburg (1888-1890) und eines geistlichen Schulinspektors aus der Stadt Greiz (1878) veranschaulichen dieses Dilemma: Manche Schüler arbeiteten angeblich bis zu 200 Stunden pro Monat zusätzlich zum Unterricht. Dagegen wurde eine Familie in eine verzweifelte Lage gebracht, weil das Gesetz ihrem elfjährigen Sohn, der noch nicht richtig lesen konnte, die Ausübung jeglicher Arbeit untersagte.

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I. Die Beobachtungen eines Volkschullehrers in Hamburg (1888-90)

Wenn ein gesunder, kräftiger zwölf- bis dreizehnjähriger Knabe an seinen schulfreien Nachmittagen durch Botendienste für einen Geschäftsmann oder durch anderweitige leichte Beschäftigung sich einige Groschen zu verdienen sucht und auf diese Weise seinen Eltern in der Sorge um das tägliche Brot zur Seite steht, so wird das ohne Frage nur zu billigen sein. Es kann weder ihm noch seiner Schule schaden; denn es bleibt ihm doch Zeit genug zur Erholung im Spiel wie zur stillen geistigen Arbeit; ja, es kann ihm sogar von Nutzen sein, indem diese mit einem gewissen Grad von Verantwortlichkeit verknüpften Arbeiten ihm für das spätere Leben zu einer Art Vorschule werden.

Wenn aber diese Beschäftigung den Knaben bereits morgens vor 7 Uhr oder nachmittags und abends bis nach 9 Uhr oder gar morgens und abends in Anspruch nimmt, so daß er monatlich über 100, ja bis zu 200 Stunden außer der Schulzeit in Arbeit gehalten wird; wenn die Qualität seiner Arbeit eine derartige ist, daß sie voll und ganz die physische Widerstandsfähigkeit eines Erwachsenen erfordert; wenn sie nicht nur dem in der lebhaftesten Entwicklung stehenden Knaben seinen ihm so dringend nötigen Schlaf verkürzt, sondern ihm sogar auch den Sonntag nimmt – dann, scheint mir, ist das Maß dessen, was Körper und Geist unserer männlichen Jugend und was der Schulunterricht ohne Benachteiligung ertragen kann, weit überstiegen.

Dieser Kategorie von Stellenschülern habe ich meine Aufmerksamkeit zugewendet, indem ich mir über ihre Anzahl, ihre Verwendungsart und ihr Alter, über die Zahl und Lage ihrer täglichen Arbeitsstunden, ihre etwa erhöhte Arbeitszeit an schulfreien Nachmittagen und Sonntagen, ihren Verdienst pro Stunde, sowie über ihre Arbeitgeber die mir von Bedeutung erscheinenden Notizen machte. Aus denselben ist folgendes hervorzuheben:

Der Prozentsatz der Stellenschüler, welche des Morgens vor 7 Uhr oder des Nachmittags und abends zur genannten Zeit beschäftigt wurden, war folgender:

Bald nach Ostern 1888 Kl. II: ca. 12 %;
bald nach Ostern 1889 Kl. II: ca. 25 %;
bald nach Ostern 1890 Kl. II: ca. 27 %.

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