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Eine junge Berliner Adlige erinnert sich an einen Hausball, Eislaufen und Fahrradfahren (um 1890)

Die deutschen Adligen mussten weder, wie die meisten Arbeiter, ein dürftiges Dasein fristen, noch, wie das bei einem Angehörigen des Bürgertums der Fall sein mochte, sich um eine sparsame Lebenshaltung sorgen. Die Beschäftigungen dieser Berliner Adligen zeigen, dass eine aufwendige Lebenshaltung in dieser Klasse weniger eine Pflicht als vielmehr Selbstzweck war. Neben gesellschaftlichem Verkehr mit den Angehörigen der aristokratischen Elite auf ausgeklügelt inszenierten Bällen betätigte sich die adlige Jugend in ihrer Freizeit sportlich – und als Trendsetter.

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Ein damaliger Hausball verlief in folgender Weise: der Vortänzer, ein dem Hause nahestehender Herr, wurde einige Zeit vorher zu Tisch eingeladen, mit ihm durchsprach man die Liste der Tanzenden, fehlten noch einige Herren – an ihnen war kein Mangel! – legte er Tanzlustigen nahe, am nächsten Sonntag Besuch zu machen. Die Tanzfolge, der Kotillon wurden entworfen, am nächsten Tag bestellte man die zusammengefalteten Tanzprogramme, Bleistifte, an der Seite angebracht, auf der einen Hälfte die Tänze, auf der anderen die Namen, auch die Kotillonzutaten, die Schleifen, die Blumen. [ . . . ] Zum Ball erschien man recht pünktlich: um 8 oder 8 ½ Uhr. Wir jungen Mädchen legten Wert darauf, mindestens vor dem ersten Walzer, womöglich schon in der vorhergehenden Woche sämtliche Tänze vergeben zu haben. Wollte ein Herr noch einen, wurde er mit einem „eingeschobenen“ vertröstet. So standen auf der Rückseite meiner Karten oft über ein halbes Dutzend Namen aufgezeichnet, während doch höchstens zwei Tänze „eingeschoben“ wurden. Das machte sich aber gut.

Pünktlich eine halbe Stunde nach der vermerkten Zeit erklang der erste Walzer, der Vortänzer eröffnete mit der Tochter des Hauses den Ball. Der erste Walzer, das Souper mit anschließendem Tanz und der Kotillon waren – in dieser Reihenfolge sich steigernd – die drei „wichtigen Tänze“. Wurde man von einem Tänzer zu einem oder gar mehreren dieser gebeten, war das bedeutungsvoll; gab man sie ihm, hatte man ihn ermutigt.

In diesem Jahrzehnt versuchte jede ballgebende Familie unserer Kreise, sich Herrn Neumann zum Klavierspielen zu sichern. [ . . . ] Wenn ich mich nicht irre, erhielt er sechs Mark den Abend, natürlich wurde ihm ein gutes Abendessen mit einer Flasche Wein hingestellt.

Entweder wurde ein warmes Souper den an langen Tischen Sitzenden durch herrschaftliche, mit von Bekannten entliehenen Dienern und auch Lohndienern gereicht (Serviermädchen hätten damals spießbürgerlich gewirkt); dies fanden die tanzenden Herren ausruhender und bequemer, oder – dies war üblicher und eleganter – diese versorgten vom kalten Büfett aus ihre mit ihnen an kleinen Tischen sitzenden Damen, und diese Art wurde von uns bevorzugt. In einigen guten Häusern gab es nur Rot- und Weißwein, meistenteils, auch bei uns, gab es aber Champagner. Nach dem Abendessen verschwanden die ohnehin spärlich vertretenen Ballväter, und nur die Ballmütter blieben bis zum Schluß. Tanzende Mütter traf man nur in den flottesten Häusern, in den andern wurden höchstens mal die jüngeren zu einem Stehtanz aufgefordert. In unsern Kreisen waren aber Mütter notwendig, nur im Fall der Erkrankung einer Mutter nahm die einer Freundin ein junges Mädchen unter ihren Schutz. Obwohl meine Schwestern und ich gewiß unabhängig veranlagt waren, paßte es uns jedoch keineswegs, oft mit einer Vizemutter auszugehen. Die Mutter gehörte dazu, mußte bis zuletzt ausharren. Fast alle Mütter langweilten sich unsäglich, hatten sich untereinander ausgesprochen und kämpften, stoisch die Fassung bewahrend, mit dem Schlaf. Sie dauerten uns etwas, aber allzu hoch haben wir ihnen das Opfer nicht angerechnet, wir waren bereit, in zwanzig Jahren die gleiche Mutterpflicht zu erfüllen.

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