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Große Dresdner Familie mit Jahreseinkommen von 1000 Mark (1880er Jahre)

Im deutschen Kaiserreich konnten Krankheit und andere unvorhersehbare Zwischenfälle das Wohlergehen von Arbeiterfamilien jederzeit gefährden. Doch wie dieser Auszug aus der Autobiographie einer Arbeiterfrau in Dresden zeigt, erlaubte es gelegentlich selbst ein bescheidenes Einkommen den Eltern von Großfamilien, ihren Kindern bessere Zukunftschancen zu bieten, besonders wenn die Familie einem strikten Sparkurs folgte und Unterstützung von Verwandten erhielt. Ungeachtet der affektierten Fröhlichkeit und der Hinweise auf Selbstaufopferung, die den Bericht dieser Mutter durchziehen, veranschaulicht er, dass das Alltagsleben der Arbeiter nicht durchweg eintönig und abgestumpft war.

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Mit einem Kinde fing ich an in die Kassen zu legen; dasselbe war 2 Jahre alt, aber es wurde da schon in die Schulkasse weggelegt, denn ich sagte mir, wenn ich erst anfangen will, wenn es gebraucht wird, ist es zu spät; da hätten wir uns vielleicht auch zu „üppig“ gewöhnt und ich glaube, in den Ansprüchen zurückzugehen, wird schwerer, als umgekehrt.

Und wie gut war das! In Pausen von 2 Jahren bekamen wir 5 Kinder. Als das 5. Kind 1/4 Jahr alt war, bekam das 3. Kind, ein herziges Mädchen von 4 1/2 Jahren, Diphteritis und leider Gottes starb uns dasselbe trotz ärztlicher Mühe. Das kostete viel Geld, denn das 2. Kind wurde ebenfalls schwer krank. Mit schwerem Herzen, aber froh, daß ich es hatte, holte ich von der Sparkasse vom Fond des Unvorhergesehenen, was Arzt, Apotheke und Begräbnis kostete. 3 Jahre später kam dasselbe Unglück über uns, das jüngste Kind, ein Knabe von 3 Jahren, wurde krank. Nach eintägiger Krankheit wurde uns der liebe Junge durch den Tod entrissen.

Auch da mußte aus dem Fond des Unvorhergesehenen genommen werden. Aber den Mut zum Weitersparen verlor ich, Gott sei Dank, nicht, trotzdem es auf so traurige Weise immer wieder weg ging; ich dachte, einmal muß es doch auch zu was Gutem sein. Gleich bei Einrichtung meiner Kassen ließ ich meinen Mann und mich in die „Allgemeine Dresdner Krankenkasse“ aufnehmen, und so kostete bei Krankheit für uns beide Arzt und Apotheke nichts und es gab auch etwas Krankengeld. Dabei ist auch Sterbekasse. (Wird aus der Abgabenkasse bezahlt). Wie hübsch, wenn dann die Steuerzettel kommen, und das Geld liegt da. – Als die Kinder in die Schule kamen, wurden sie in die Konfirmandensteuer aufgenommen. Die beiden ältesten Mädchen wurden mit je 5 Pf. angemeldet. Als die älteste die Schule verließ, für die zweite die Steuer auf 10 Pf. erhöht. Das 3. Kind aber, ein Knabe, wurde gleich mit 20 Pf. angemeldet. Die Einzahlungen habe ich mir vom Kostgeld abgezwackt. Die Auszahlung jedesmal zur Konfirmation war was Herrliches, wie ein großes Los! Das Geld wurde nun zu Lehrzwecken mit verwendet, die Kinder konnten lernen, wozu sie Lust hatten. Die Älteste lernte im Fröbelstift Kinderpflegerin und ist nun verheiratet. Die Zweite hat auch etwas Tüchtiges erlernt und ist jetzt in guter Stellung. Der Knabe konnte alle Bücher erhalten, welche er auf dem Seminar brauchte. – Die Hauptsache war aber, daß meine Angehörigen sehr bescheiden waren; groß war die Freude, wenn es zum Geburtstage Würstchen und Semmel zum Frühstück gab und von der Großmutter eine Tüte für 15 Pf. vom Konditor. Als Mädchen hatte ich schneidern gelernt; das kam mir sehr zu passe; ich habe alles selbst gemacht, Kleider und Hüte, und hatte dadurch den Vorteil, alles Alte und schon ein paarmal Gebrauchte, nachdem es sauber gewaschen und geplättet war, wieder benutzen zu können. Für den Knaben habe ich die Anzüge bis zur Konfirmation selbst gemacht,

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