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Flachsanbau in der Lüneburger Heide (1870er Jahre)

In den 1870er Jahren war in den meisten ländlichen Gebieten Deutschlands die Mechanisierung noch wenig entwickelt; daher folgte die Landarbeit weiterhin sehr eng dem Jahreszyklus: lange Arbeitstage auf dem Feld im Sommer wechselten sich mit Arbeiten im Haus während der Wintermonate ab. Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs spielte eine bedeutende Rolle als bäuerlicher Zusatzverdienst und zur Sicherung einer ständigen Beschäftigung der Landarbeiterinnen. Die Schilderung zeigt, wie Arbeit und Freizeit in vielen ländlichen Haushalten ihren festen Stellenwert hatten.

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Maschinen gab es damals in der Landwirtschaft noch nicht oder nur vereinzelt. Um Arbeitskräfte für den Sommer zu haben, mußten sie auch im Winter beschäftigt werden, und das war möglich, da man nicht nur für das Essen zu sorgen hatte, sondern auch für die Kleidung. Der Flachs und seine Bearbeitung spielte im Kreislauf des Jahres eine bedeutende Rolle. Im Frühjahr wurde der Leinsamen gesät; auch jede Vollmagd erhielt ihr Spinnt, ein Hohlmaß, mit ausgesäet als einen Teil des Lohnes, Kaum ist er aufgegangen, so wird das Unkraut ausgejätet, in der Regel zweimal. Der hochgewachsene Stengel trägt kleine blaue Blümchen, aus denen sich die runden Fruchtkapseln entwickeln. Gereift wird der Flachs aufgezogen, mit den Wurzeln in Bünde gebunden und eingefahren. [ . . . ]

Der feine Flachs [ . . . ] wurde mit dem doppelten Spinnrad, dem zweispilligen, gesponnen, wo jede Hand einen Faden zu führen hatte, dann gespult und auf dem Scherrahmen als Aufzug oder Kette vorbereitet, zum Teil auch die Fäden auf kleine Spülchen gespult und als Schuß oder Einschlag beim Weben verwendet. Es wurde aber auch Wolle oder Baumwolle als Einschlag benutzt, je nachdem Leinwand, Dreikamm oder Fünfkamm zur Kleidung hergestellt werden sollte. Der Schneider kam mit seinem Gesellen oder Lehrling ins Haus und fertigte daraus die Anzüge. Ein altes Sprichwort heißt: „Selbstgewonnen, selbstgesponnen ist die beste Bauerntracht.“ Damals hatten selbst große Bauern selten mehr als einen „lakenschen“, d. h. Tuchanzug, der nur angezogen wurde, wenn sie mit ihren Frauen zum Nachtmahl oder Abendmahl gingen. [ . . . ]

In den alten bemalten Truhen und Laden aber lag der Stolz der Hausfrau, „dat wiete Linnen“ und „der brömmelken Drell“ (Drillich mit Brommbeermuster). Der Wert eines Mädchens wurde geschätzt nach der gerollten Leinwand, die es im Koffer hatte; wurde doch ihre Leinaussaat mit dem der Hausmutter im Laufe des Jahres gemeinsam mit verarbeitet. So durchzog die Arbeit mit dem Flachs die Tätigkeit im ganzen Jahre. In einem ordentlichen Bauernhause mußte man zu Weihnachten mit dem Spinnen fertig sein, und zu Ostern mußten die Webtaue aus der Stube und Linnen auf die Bleiche kommen. Dann begann der Kreislauf mit der Aussaat des Leinsamens von vorne. [ . . . ]

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