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Wege zum unternehmerischen Erfolg: Ratschläge eines Bankiers (1884)

Seit den 1880er Jahren brachte die zweite „Industrielle Revolution“ in Deutschland neue Industrien wie die Chemie- und Elektroniksparten hervor. Diese wuchsen schnell und trugen nach 1900 direkt zum weltweiten Ruf Deutschlands als technische und wissenschaftliche Führungsmacht bei. Das deutsche Bankwesen expandierte damals ebenfalls sehr rasch. Der in diesem Auszug vorliegende Rat des Bankiers Georg von Siemens legt nahe, dass praktische Erfahrung nützlicher sei als „theoretische“ Studien an der Universität, um die notwendigen Qualifikationen für den Erfolg zu erlangen, besonders in einer Branche, die durch einen Mangel an Fachkräften gekennzeichnet sei. Es ist nicht ungewöhnlich, dass er manche Geschäftspraktiken in den USA bewundert, andere hingegen kritisiert.

Georg von Siemens gehörte zu den Gründungsdirektoren der Deutschen Bank, er war außerdem mehrfaches Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages.

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Du weißt, daß ich von der Theorie sehr wenig halte. Unsere Zeit ist diejenige der Spezialitäten. Es handelt sich darum, früher als andere auf irgendeinem Gebiet, und sei es noch so klein, Autorität zu werden. [ . . . ] Nun wird man aber Autorität nur dann, wenn man etwas machen kann. Die Professorenrederei ist eitel dummes Zeug. Theoretische Bildung ist nur dann als solche wirklich viel wert, wenn sie als Spezialität, d. h. als Selbstzweck betrieben wird, wenn man also an Universitäten als Professor damit Handel treibt. Im übrigen ist sie nur Dienerin, d. h. Hilfsmittel, um die praktische Arbeit zu erleichtern resp. Genußmittel für stille Stunden, wie die Zigarre nach dem Mittagbrot. Den rein theoretischen Professorenzustand hast Du nicht gewählt und m. E. daran Recht getan, weil dies Gebiet in Deutschland entschieden übersetzt ist (overtraded sagen die Engländer). Du mußt also darauf sehen, daß Du das große technische Übergewicht, welches Du durch Deine Ausbildung bei Fueß vor vielen anderen voraus hast, ausnutzest.

Ich gehe im großen und ganzen davon aus, daß auf den Universitäten bei uns sehr viel, eigentlich zu viel Zeit vertrödelt wird. Unser Universitätsleben besteht eigentlich nur aus Ferien mit intermittierenden Arbeitszwischenräumen; und bei der Menge von Büchern, die es gibt, glaube ich, daß man viel schneller vorwärtskommt, wenn man sich in die Praxis stürzt und die dabei aufstoßenden Zweifel durch Lektüre und privates Nachstudium zu beseitigen bestrebt ist. Der Weg ist um eine Kleinigkeit angreifender, aber unendlich mehr Zeit ersparend. [ . . . ]

Augenblicklich ist die kaufmännische Situation die, daß mehr Unternehmungen da sind als Menschen. Die Edison-Gesellschaft krankt daran, daß sie nicht genügend viel und genügend gute praktisch geschulte Techniker zur Verfügung hat. In nicht allzu langer Zeit wird der Markt gefüllt sein: denn die Leute bilden sich im Geschäft. Der alte Borsig und Egell, auch Wöhlert waren Schmiedegesellen; sie wurden groß, weil sie früher da waren als diejenigen Techniker, welche sich erst auf Universitäten ausbilden zu müssen glaubten. Derselbe Erfahrungssatz gilt für alle neuen Industrien.

Edison hat sich dem kleinen Willy Siemens gegenüber beklagt, daß die Berliner Leute so miserable Techniker hätten. Ähnliche Erfahrungen machte seinerzeit Werner Siemens. Also der Moment ist augenblicklich noch vorhanden.

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