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Inneneinrichtung von Arbeiterwohnungen in Hamburg und Karlsruhe (1891)

Die gewaltige Zuwanderung von Arbeitern vom Lande bedeutete, dass die Bereitstellung von Wohnraum in der Stadt zu einer großen Herausforderung wurde. Die Passage aus Berichten protestantischer Arbeitervereine in Hamburg und Karlsruhe zeigt, wie Arbeiterfamilien in äußerst engen und bescheidenen Unterkünften lebten. Dennoch strebten viele nach passabel eingerichteten und ordentlichen Wohnungen; die Einrichtungsgegenstände, besonders die Bilder, zeigen die Ideale der Arbeiterschaft (Karl Marx oder Ferdinand Lassalle), belegen aber auch Loyalität zum Kaiserreich (Wilhelm I.) und Religiosität (Martin Luther oder katholische Heilige).

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Berichte evangelischer Arbeitervereine aus Hamburg und Karlsruhe (1891)

Aus Hamburg wird uns [ . . . ] berichtet: „Der Vermieter liefert nur das nötige Material und der Arbeiter selbst bessert sich dann die Fehler aus, ohne dafür Vergütung zu erhalten. In der Regel findet man die Stuben tapeziert, Küche und Kammer geweißt. Die Bilder, welche die Stube zieren, sind entweder von einem Leseabonnement oder auf Abzahlung genommen; dann findet man einige Familienbilder, Bilder sozialdemokratischer Führer und in neuerer Zeit die gestickten Verse, eine Nachbildung unserer guten, christlichen Wandsprüche, jetzt aber mit sozialdemokratischem Inhalt versehen. An Mobiliar findet man Sofa, Tisch, gepolsterte Stühle, Kommode, Kleiderspind und meistenteils jetzt auch eine Nähmaschine (diese natürlich auf Abzahlung). Tritt man überhaupt in eine Wohnung ein, so weiß man auf den ersten Blick, mit wem man es zu tun hat, und findet es sich bei christlichen Arbeitern auch nur ärmlich, so ist der christliche Sinn doch gleich zu sehen. Eine Wasserleitung (aber welche! d.Verf.) hat jede Wohnung. Dagegen benutzen in der Regel 2 Familien einen Abort, ja es kommt auch vor, daß 4 und 5 Familien denselben zusammen benutzen müssen." [ . . . ]

Aus Karlsruhe wird berichtet: „Der weitaus größte Teil der Wohnungen wird von den Frauen reinlich und sauber gehalten. Zwei Betten sind die Regel. Wenn nur bis zwei Kinder vorhanden sind, gibt es für diese eine kleine Bettstelle oder einen Kinderwagen. Bei mehr Kindern schlafen 2, auch 3 in je einem Bett oder Wagen. Überall findet man einen Kleiderschrank, eine Kommode, zwei Tische und die notwendige Küchenausstattung. Der Herd ist nur selten zugleich der Ofen der Stube. Meist besitzen die Arbeiter jetzt die eisernen sogenannten Sparherde, welche sich auch in den höheren Kreisen vorfinden. Der Wert des Mobiliars, welches ein Arbeiter durchschnittlich sein eigen nennt, schwankt zwischen 500 - 800 Mark. Vorhänge an den Fenstern und kleine Teppiche auf den Fußböden oder Decken auf den Tischen sind die Regel. Vielfach werden Blumen gepflegt, auch Vogelzucht betrieben. An Bildern sieht man die bekannten Öldruckbilder, irgendeine Landschaft darstellend. Außerdem findet man gewöhnlich das Bild des Mannes aus seiner Soldatenzeit, daneben oft Lassalle oder Marx, aber auch der erste deutsche Kaiser. Auch Bilder zur Erinnerung an die Konfirmation und andere religiöse Bilder finden sich – Heiligenbilder bei den Katholiken – bei den Protestanten Luther".



Quelle: Ludwig Weber, „ Wohnungen und Sonntagsbeschäftigung der deutschen Arbeiter. Nach urkundlichen Quellen geschildert“, Sammlung theologischer und sozialer Reden und Abhandlungen III, 8/9, Leipzig, 1892, S. 212-13.

Abgedruckt in Klaus Saul, Jens Flemming, Dirk Stegmann, und Peter-Christian Witt, Hg., Arbeiterfamilien im Kaiserreich. Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914. Düsseldorf, 1982, S. 149-50.

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