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Carl Friedrich Benz: Ein neues Fahrrad (1867)

Carl Friedrich Benz (1844-1929), ein Ingenieur aus Karlsruhe, war ein Pionier des Automobilbaus. 1885 konstruierte er die erste dreirädrige Kutsche, die von einem Verbrennungsmotor angetrieben wurde. In diesem Auszug aus seinen Memoiren mit dem Titel Lebensfahrt eines deutschen Erfinders erinnert sich der Mitbegründer der Daimler-Benz AG, wie die Erfahrungen mit einem einfachen Fahrrad 1867 seinen Ehrgeiz weckten, ein bequemes Gefährt mit eigenem Antrieb zu entwerfen.

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Es war im Jahre 1867. Da kam eines Tages mein Freund, Buchdruckereibesitzer Walter, zu mir. Er war von einer Reise aus Stuttgart zurückgekommen. Dort hatte er den eleganten Renner gesehen und ruhte nicht – da er selbst schlecht zu Fuß war –, bis er ihm gehörte. Es war aber leichter, die Maschine zu kaufen, als auf dem schweren Ding zu fahren. Bei fast all seinen Versuchen artete das Fahren in ein Fliegen aus. Daher hatte er den eigenartigen Sport bald satt und sah sich nach einem neuen Käufer um. Da er meine „Schrullen" kannte, muß er wohl in mir einen Liebhaber gewittert haben. Ich musterte das kuriose Ding und war sofort Feuer und Flamme. Mit dem Fahrrad von heute hatte es allerdings nichts gemeinsam als eben die zwei Räder. Diese waren aus Holz und wurden durch eiserne Reifen zusammengehalten. In ganz primitiver Weise saß der Sitz zwischen Hinter- und Vorderrad auf einer langgestreckten Feder. Etwas größer als das Hinterrad war das Vorderrad, das etwa 80 cm im Durchmesser hatte. Angetrieben wurde das Vorderrad durch Tretkurbeln, die direkt mit ihm in Verbindung standen.

Schon nach 14 Tagen angestrengtester Versuche konnte ich, was mein Freund nie gelernt hatte, das Meistern des Rades. Es war allerdings keine kleine Arbeit, auf Mannheims holperigem Pflaster das Gleichgewicht zu halten. Aber der hüpfende Gaul mußte gehorchen, ja, ich mutete ihm – lies mir! – sogar wiederholt die vermessene Aufgabe zu, große Touren über Land zu machen (z. B. Mannheim-Pforzheim).

Wenn ich einkehrte und mein zentnerschweres Rad an irgendeine Wirtshausecke lehnte – guten Wirtshäusern bin ich zeitlebens nie aus dem Wege gegangen –, so sammelte sich gern viel neugierig Volk, kleines und großes, um die plumpe Maschine. Und keiner wußte, ob er mehr das schwere Fahrzeug mit seinen eisenbereiften Holzrädern und seinem schlecht federnden Sattel bespötteln oder das geschickte Balancieren des „Kunstreiters auf nur zwei Rädern" bewundern sollte.

Das alles kümmerte indes den „Kunstreiter" gar wenig. Stolz pedalierte er auf und davon. Und aus seinen Augen leuchtete etwas von dem, das in ihm lohte und brannte – von der Begeisterung für das Problem des selbstlaufenden Fahrzeugs.

Heute, wo die kleinen Kinder auf dem Fahrrad zur Welt kommen, wird man es kaum verstehen, daß der erste Radler, der durch Mannheims Straßen pedalierte, einst durch die Lach- und Spottsalven der Menge Spießruten fahren mußte. [ . . . ]

Eines schönen Tages mußte das schwere Holzungetüm trotz aller Begeisterung in die Rumpelkammer. Seine Eisenreifen fraß der Rost und auch die Holzräder fielen dem Zahn der Zeit zum Opfer. Was aber nicht in die Rumpelkammer wanderte, was nicht verrostete und zusammenfiel, das war die Idee, pferdelos zu fahren. Im Gegenteil: Die packte mich jetzt erst recht mit der Allgewalt der forschenden Spürkraft und ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe mehr.

Zwei Dinge waren mir jetzt klar. Zwei Dinge stellten sich nach diesen mißlungenen Versuchen wie abschreckende Wegweiser auf meine Forscherbahn:

Erstens durfte mein Ideal nicht zwei Räder bekommen. Das war zu wenig. Ein Wagen, der in bezug auf Bequemlichkeit mit der eleganten Droschke in Wettbewerb treten konnte, sollte es werden.

Zweitens mußte dabei unter allen Umständen die Menschenkraft ersetzt werden durch Maschinenkraft. Aber wie? Das ist die Frage, die mich fortan beschäftigte.



Quelle: Carl Friedrich Benz, Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig, 1925, S. 25ff.

Abgedruckt in Werner Pöls, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1815-1870. Ein historisches Lesebuch. 4. Auflage. München: C.H. Beck, 1988, S. 59-60.

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