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Frauenaktivismus in der Revolution von 1848/49: Louise Ottos Programm in der ersten Ausgabe der Frauen-Zeitung (1849)

In dieser programmatischen Erklärung aus der ersten Ausgabe ihrer Frauen-Zeitung (1849) ermuntert Louise Otto die Frauen, sich ihren Anteil am politischen Befreiungsprozess der Revolution zu erkämpfen und dabei zuallererst ihre benachteiligten Geschlechtsgenossinnen zu unterstützen. Ganz klar distanziert sie sich jedoch von den „Emanzipierten“, die Ehe und Mutterschaft schlecht machten und die „Frauen zur Karikatur des Mannes herabwürdigten“.

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FRAUEN-ZEITUNG
Ein Organ für die höheren weiblichen Interessen
Motto: Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen.
Begründet von Louise Otto. 1. Jg. 1849,
Großenhain/Sachsen
Nr. 1 Sonnabend, den 21. April 1849

Programm

Die Geschichte aller Zeiten, und die heutige ganz besonders, lehrt: daß diejenigen auch vergessen werden, welche an sich selbst zu denken vergaßen! Das schrieb ich im Mai des Jahres 1848 hinaus in die Welt, als ich zunächst meine Worte an die Männer richtete, die sich in Sachsen mit der Frage der Arbeit beschäftigten – ich mahnte sie damit an die armen Arbeiterinnen, indem ich für meine Schwestern das Wort ergriff, auf daß sie nicht vergessen wurden! (D. i.: "Adresse eines Mädchens" an das liberale Ministerium Oberländer, D. H.)

Dieser selbe Erfahrungssatz ist es, welcher mich zur Herausgabe einer Frauen-Zeitung veranlaßt. Mitten in den großen Umwälzungen, in denen wir uns alle befinden, werden sich die Frauen vergessen sehen, wenn sie selbst an sich zu denken vergessen!

Wohlauf denn, meine Schwestern, vereinigt Euch mit mir, damit wir nicht zurückbleiben, wo alles um alles um uns und neben uns vorwärts drängt und kämpft. Wir wollen auch unser Teil fordern und verdienen an der großen Welt-Erlösung, welche der ganzen Menschheit, deren eine Hälfte wir sind, endlich werden muß.

Wir wollen unser Teil fordern:
das Recht, das Rein-Menschliche in uns in freier Entwicklung aller unserer Kräfte auszubilden, und das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat.

Wir wollen unser Teil verdienen:
Wir wollen unsere Kräfte aufbieten, das Werk der Welt-Erlösung zu fördern, zunächst dadurch, daß wir den großen Gedanken der Zukunft: Freiheit und Humanität (was im Grunde zwei gleichbedeutende Worte sind) auszubreiten suchen in allen Kreisen, welche uns zugänglich sind, in den weiteren des größeren Lebens durch die Presse, in den engeren der Familie durch Beispiel, Belehrung und Erziehung.

Wir wollen unser Teil aber auch dadurch verdienen, daß wir nicht vereinzelt streben, nur jede für sich, sondern vielmehr jede für alle,

und daß wir vor allem derer zumeist uns annehmen, welche in Armut, Elend und Unwissenheit vergessen und vernachlässigt schmachten.

Wohlauf, meine Schwestern, helft mir zu diesem Werke!
Helft mir für die hier angedeuteten Ideen zunächst durch diese Zeitung [zu] wirken! –

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