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Jakob Marx über die Ausstellung des heiligen Rockes in Trier (1844)

In dieser Textpassage aus seiner Geschichte des hl. Rockes der Domkirche zu Trier (1844) beschreibt der Trierer Theologieprofessor Jakob Marx (1803-1876) sehr anschaulich ein Ereignis, das beispielhaft war für die breite, auf die Säkularisierung reagierende Wiederbelebung katholischer Frömmigkeit: Im Herbst 1844 pilgerte rund eine halbe Million Gläubige nach Trier, um das im Dom ausgestellte Kreuzigungsgewand Christi zu sehen und durch dessen Berührung von Krankheiten geheilt zu werden. Die neu auflebende Volksfrömmigkeit fand ihren Niederschlag auch in Marienverehrung und Wunderglauben.

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Die erste Heilung, welche während der Feierlichkeiten vorgekommen ist, war jene der Gräfin Johanna v. Droste-Vischering, die am 30. August, einem Freitage, vor sich gegangen ist. Da durch diesen Vorgang in vielen Preßhaften das Vertrauen auf wunderbare Erhörung ihres Gebetes um Heilung geweckt oder gesteigert worden ist und derselbe den glaubenslosen Gegnern der Feierlichkeit so viel zu schaffen gemacht hat, so dürfte eine kurze Darstellung desselben hier eine geeignete Stelle finden.

Die Gräfin Johanna v. Droste-Vischering aus Westphalen, Großnichte des Erzbischofs Clemens August von Köln und des Bischofs von Münster, ein Mädchen von 19 Jahren, war seit drei Jahren leidend und lahm, so daß sie sich nur mühsam auf Krücken fortbewegen konnte. Sie litt aber nach Zeugnis der Ärzte an einem skrophulösen Kniegeschwulst, in deren Folge sich eine Verkürzung der Sehnen in der Kniekehle der Art gebildet hatte, daß der Unterschenkel mit dem Oberschenkel einen rechten Winkel bildete, das Mädchen also unmöglich mit dem Fuße den Boden auch nur berühren konnte. Zu diesem Zustande befand sich die junge Gräfin zu Kreuznach, wohin sie nun schon zum dritten Male gekommen war, das dortige Bad gegen ihr Übel zu gebrauchen. Als sie dort die Runde von der Ausstellung des h. Rocks zu Trier erfahren, schöpfte sie Hoffnung und Vertrauen, daß, wenn sie den Saum dieser Reliquie berühren könnte, Gott ihr Heilung von dem schwersten ihrer Leiden, der Lahmheit, gewähren würde. Mit ihrer Großmutter, der verwitweten Charlotte Erbdroste zu Vischering, und einer andern Dame nebst Dienerschaft machte sie sich daher in dem oben beschriebenen Zustande zu Kreuznach auf, und hat sodann gleich nach der Ankunft zu Trier am 29. August die Großmutter von ihrem Gasthause (dem roten Hause) aus sich an den Herrn General-Vikar Dr. Müller in einem Schreiben gewendet, ihm darin den Zustand, die Bitte und die Hoffnung ihrer Enkelin vorgetragen, und um die Erlaubnis zur Berührung des h. Rockes für dieselbe nachgesucht. „Meine oben genannte Enkelin, heißt es in diesem Schreiben, ein Mädchen von 19 Jahren, ist seit beinahe drei Jahren immer leidend und lahm, so daß sie nur mühsam sich auf Krücken fortschleppt. Sie ist von Glauben und Hoffnung belebt, daß, wenn sie den Saum des h. Kleides anrühren dürfte, sie vom drückensten ihrer Leiden, der Lahmheit, geheilt werden würde." Diese Erlaubnis wurde ihr erteilt und am Tage darauf, den 30. August, kam die Gräfin in der Mitte zwischen ihrer Großmutter und einer andern Dame ihres Gefolges auf ihre Krücken gestützt die Marmortreppe hinauf zum h. Rock. Hier angekommen, ließen sich die Großmutter und die andre Dame zum Gebete auf die Knie nieder; die Gräfin Johanna aber blieb aufrecht auf ihre Krücken gestützt stehen und verweilte so einige Augenblicke in heißem Gebete. Auf einmal fühlt sie ihr Bein gelöst, läßt ihre Krücken fallen, sagt den beiden Damen in der freudigen Aufregung, sie könne wieder stehen, läßt sich auf die Knie nieder, und ihr Angesicht mit beiden Händen sich bedeckend brach sie in lautes Weinen vor Freude und Dankbarkeit aus, so daß alle Umstehenden heftig erschüttert wurden und sich der Tränen nicht erwehren konnten. Nachdem sie sich sodann erhoben hatte, ward sie zum h. Rocke geleitet, kniet abermals nieder und berührt dann denselben unter Assistenz des Herrn General-Vikars Müller. Sodann erhebt sie sich nach einigen Minuten des Gebetes, und verläßt nun am Arm ihrer Großmutter, mit beiden Füßen flach auftretend, den h. Rock und steigt so, ohne Krücken, welche ein Diener weinend ihr nachtrug, die Marmortreppe hinunter, geht so durch den Dom bis an ihren draußen stehenden Wagen.

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