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Auszüge aus dem Staats-Lexikon: „Geschlechterverhältnisse” (1845-1848)

Obgleich der Verfasser des Beitrags über „Geschlechterverhältnisse“ im Staats-Lexikon eine grundsätzliche Verschiedenheit der Geschlechter postuliert, befürwortet er dennoch ein gewisses Maß an rechtlicher Gleichheit. Während aber die als tatkräftig und vernünftig gezeichneten Männer öffentlich tätig und politisch aktiv sein sollen, werden die als passiv, emotional und familienorientiert dargestellten Frauen auf die Rolle von Bittstellerinnen, Zuschauerinnen im Parlament und das Feld der Wohltätigkeit verwiesen.

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Geschlechtsverhältnisse, Frauen, ihre rechtliche und politische Stellung in der Gesellschaft, Rechtswohlthaten und Geschlechtsbeistände der Frauen, Frauenvereine und Vergehen in Beziehung auf die Geschlechtsverhältnisse. — I. Das allgemeinste und wichtigste Verhältniß der menschlichen Gesellschaft, das schwierigste für eine juristische und politische Theorie ist unstreitig das Verhältniß der beiden Geschlechter. Dieses geheimnißvolle Grundverhältniß ist die immer neue Lebensquelle für die ganze Gesellschaft, für die physische und moralische Bildung oder Verbildung der Gesellschaftsglieder, jeder neuen Generation derselben. Es muß gerecht und weise bestimmt, es muß sittlich rein und gesund sein, wenn es die Gesellschaft selbst sein oder bleiben soll. Wäre alles Andere in den orientalischen, namentlich auch in den muhamedanischen Reichen vortrefflich gewesen, ihre Sklaverei der Frauen und ihre Vielweiberei würden nie eine dauernde höhere Cultur und Entwickelung, nie wahre Freiheit in denselben zugelassen haben, und sie werden sie auch ferner nicht zulassen. Durch sie ist der Despotismus in der Breite und Tiefe begründet. Hätten alle herrlichen Kräfte der Griechen, alle ihre politische Weisheit und Bildung in jeder anderen Beziehung sich verdoppelt: — mit ihren wenigstens noch halb sklavischen, die Rechte der Frauen verkennenden und ein würdiges Familienleben ausschließenden Bestimmungen der Geschlechtsverhältnisse konnten sie nie auf die Dauer die Freiheit und Kraft ihrer Staaten behaupten. Was aber kann zugleich schwieriger zu bestimmen sein als dieses wichtigste tiefste Verhältniß der Schöpfung? Unsere heutige vollkommnere naturrechtliche und christliche Staatstheorie ordnet nicht mehr, so wie die griechische und römische, die Menschheit dem Staate, dem Bürger den Menschen unter. Sie macht vielmehr das Menschenrecht zur Grundlage des bürgerlichen Rechts, gründet also die Gleichheit des letzteren auf die Gleichheit des ersteren. Und doch ist so vielfache Ungleichheit zwischen dem Manne und der Frau, so große Verschiedenheit ihrer Lebensaufgaben und ihrer Kräfte, also auch ihrer Rechtsverhältnisse, schon durch die Natur selbst bestimmt. Wo aber finden und zeichnen wir nun die richtige, die keines von beiden Geschlechtern verletzende, die beiden und dem Gesammtwohle der Gesellschaft entsprechende Scheidungslinie für diese Verschiedenheiten?

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