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Befehlshaber der Reichsjuden – Josel von Rosheim (ca. 1480-1554)

Josel (Joselin, Yoselmann, Joseph ben Gershon mi-Rosheim) war die politische Leitfigur des Judentums unter den Kaisern Maximilian I. und Karl V. Er wurde in Hagenau im Elsass geboren und war Rabbi, Kaufmann und Geldleiher. In den 1510er Jahren vertrat er die elsässischen Juden und jüdischen Gemeinden bei deren Forderung nach Marktrechten, er verteidigte Juden außerdem gegen den Vorwurf der Hostienschändung und trug deren Beschwerden beim Kaiser vor. In den 1520er Jahren hatte er den Titel „Befehlshaber der Reichsjuden“ erlangt – bzw. sich selbst verliehen. Er wohnte der Krönung Karls V. 1520 bei und handelte später mit Karl und Ferdinand I. Schutzbriefe für das gesamte Reichsjudentum aus. Im Jahr 1525 gelang es ihm, die aufständischen Bauern zur Verschonung seines Dorfes Rosheim zu überzeugen.

Josel vertrat Juden im Königreich Böhmen, der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und im Kurfürstentum Sachsen, wo er Martin Luther begegnete, den er als aggressiven Feind der Juden erlebte. In den 1540er Jahren widmete er sich der Verteidigung gegen Luthers verleumderische Angriffe auf die Juden und sprach vor dem Reichstag, um deren Recht zum Geldverleih zu verteidigen. In der Loyalität zum Kaiser und dessen Stellvertreter, König Ferdinand, sowie der Opposition gegen die Protestanten sah Josel die größte Sicherheit für die Juden. Ungeachtet der tatsächlichen Bedeutung seiner Titel stellte Josels Rolle als Wortführer und Vorkämpfer ein wichtiges Zeichen dafür dar, dass die Reichsjuden unter der Herrschaft Karls V. als eigene, rechtlich definierte Gruppe von Untertanen des Reichs behandelt wurden. Josel hinterließ einen (auf Hebräisch verfassten) Bericht seines Lebens, aus dem hier ein Auszug wiedergegeben ist.

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Im Jahr 5279 (1518/19) starb der Kaiser, an den man sich im Guten erinnert (1), und die Regensburger Gemeinde wurde vertrieben und entwurzelt von all der Pracht und von unseren kostbarsten Besitztümern—unserem Teuersten. Die Verbannten wurden in Booten auf der Donau fortgeschickt. Ein kleiner Rest, darunter die Familie Auerbach, blieb in Stadtamhof im Herrschaftsgebiet der Herzöge von Bayern (2). Damals maßten sich die Dorfbewohner von Dangolsheim selbst die Amtsgewalt an, und sie schmiedeten zusammen einen Plan, alle Juden auszuweisen; tatsächlich führten sie ihre Absicht aus. Eines Tages im Monat Adar 5279 (2. Februar-2. März) vertrieben sie alle Juden aus Dangolsheim. Und als die bösen Bewohner der Nachbarorte am selben Tag davon erfuhren, wollten sie von ihnen kal ve-homer lernen und ihrem Beispiel nacheifern (3). Und Gott bewegte die Herzen unseres Herrn, des Unterlandvogts (4) von Hagenau und des Bischofs von Straßburg, meinem Flehen Beachtung zu schenken, das ich vor ihnen ausschütte. Ich ging mit unserem Herrn dem Unterlandvogt nach Dangolsheim und erteilte eine strenge Warnung, worauf sie [die Dorfbewohner] ihre bösartigen Absichten und Taten ebenso bereuten wie ihre Übertretung der Machtbefugnisse und den Bruch des öffentlichen Friedens. Sie gaben den Juden ihre Häuser wieder zurück, und danach kam der Unterlandvogt mit Reitern und Söldnern, um Rache an ihnen zu üben. Und wäre Gott uns nicht beigestanden, indem er den [Juden] in Dangolsheim durch diesen besagten Racheakt half, und nicht auch uns in Rosheim beigestanden, dann wären alle Juden des Rhein[gebiets] in Gefahr gewesen. Lob sei Gott, der [uns] nicht im Stich gelassen hat in Seiner liebenden Güte.

Im Jahr 5280 (1519/20) wurde unser Herr der Kaiser Karl zum König gekrönt. Ich kam zu ihm und zu seinen Staatsdienern, um für unser Volk und unser Erbe zu flehen. Wir (das heißt, ich und der Mann mit mir) erlangten umfassende Privilegien für ganz Deutschland. Dessen ungeachtet wurden im selben Jahr Freibriefe (5) erteilt, welche die Ausweisung [der Juden] aus Rosheim und aus der Vogtei Kaysersberg genehmigten. Mit Hilfe Gottes, gepriesen sei Er, habe ich mich beim König eingesetzt, und es gelang mir, die Vertreibung aus der Vogtei Kaysersberg ganz rückgängig machen zu lassen, samt Aufhebung jenes speziellen Ausweisungsfreibriefs. Allerdings wurde der Freibrief von Rosheim nicht widerrufen [noch geschah dies mit der Entscheidung jener Stadt, die Juden auszuweisen]. Durch äußerste Anstrengungen gelang es uns immer wieder, unter großen Schwierigkeiten, einen weiteren Aufschub zu erreichen. Bis heute wissen wir noch immer nicht [wie die Sache ausgehen wird], und wir können lediglich auf unseren Vater im Himmel bauen. Er wird uns erlösen und von [unseren] Angreifern erretten. Möge Sein Wille geschehen. Amen.

Im Jahr 5282 (1521/22) sollten wir auf Verfügung des Großrabbiners, unseres Lehrers Rabbi Samuel seligen Angedenkens, nach Nürnberg kommen, und bei dieser Gelegenheit reichte ich eine Beschwerde über jenen Ort Oberehnheim und das ein, was uns dort in der Stadt und draußen auf den Feldern angetan worden war. Es gelang mir, die Ernennung des Abts von Weißenburg als Beauftragten zu sichern, um unsere Beschwerdeschrift und die Anklage anzuhören, auf die [die Stadtobersten] antworten mussten. Anschließend wurden sie vor eine Gerichtsversammlung geladen, und während des Verhörs lehrte man sie das Fürchten. Durch die Vermittlung des Unterlandvogts haben sie [die Stadtbürger] einen Bund mit uns geschlossen. Sie [die Stadt] öffnete ihre Tore und verhielt sich uns gegenüber friedlich, gemäß dem Text des mit uns unterzeichneten Abkommens.



(1) Josel sah in Maximilian I. (r. 1493-1519) einen gütigen Monarchen. Alle Fußnoten stammen aus: Joseph of Rosheim, The Historical Writings of Joseph of Rosheim: Leader of Jewry in Early Modern Germany, Hg. Chava Fraenke-Goldschmidt und Adam Shear, übers. Naomi Schendowich, Leiden, Brill, 2006, S. 315-39.
(2) Und daher nicht im städtischen Zuständigkeitsbereich. Stadtamhof war ein Vorort von Regensburg.
(3) Der Begriff bedeutet einen Schluss von einem unbedeutenden Gesetz auf ein bedeutendes und umgekehrt, eine bekannte Talmudregel. Die Bedeutung hier lautet, wenn ein kleines Dorf seine Juden vertreiben konnte, dann vermochten dies große Orte noch viel eher.
(4) Verwalter eines reichsunmittelbaren Bezirks im Unterelsass.
(5) Der Kaiser billigte auch die unten erwähnten Vertreibungen.

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