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Dem Beispiel Christi folgen – Thomas von Kempen, Die Nachfolge Christi (ca. 1418)

Thomas von Kempen (ca. 1380-1471), der aus der Niederrheinregion stammte, verfasste ein außergewöhnlich erfolgreiches Buch, welches die Ideale der devotio moderna genannten Bewegung kodifiziert. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte die weite Verbreitung des Textes in zahlreichen Auflagen und Sprachen. Während viele seiner Anhänger als Laien lebten, schloss Thomas selbst sich einer Gemeinschaft an, die nach Augustinischen Geboten lebte. In ihrem Ursprung asketisch und klösterlich, ließ sich Thomas‘ Frömmigkeitslehre auf verschiedene Lebensarten anwenden. Er vertrat eine gebildete, individuelle Spiritualität, Selbstdisziplin, sowie vor allem Barmherzigkeit, welche für ihn die höchste Tugend darstellte und den besten Weg, dem Beispiel Christi zu folgen. Sein aus dem Lateinischen übersetztes Buch Die Nachfolge Christi ist vermutlich das erfolgreichste aller christlichen Andachtswerke. Wie schon Eckhart und Tauler vor ihm lehrte auch Thomas, dass Liebe, nicht der Glaube, der höchste Ausdruck christlicher Tugend sei.

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Die Nachfolge Christi


I. Buch

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Das 24. Hauptstück.
Gericht und Strafe der Sünde.

In allen deinem Thun schau auf das Ende, und denke, wie du bestehen werdest vor dem strengen Richter, dem nichts verborgen ist, der durch Geschenke nicht bestochen werden kann, der keine Entschuldigung annimmt, der richtet, wie es die Gerechtigkeit fordert.

O! du elender, thörichter Sünder! Was wirst du Gott antworten, der alle deine Sünden weiß, da du schon vor dem Anblicke eines zornigen Menschen zitterst?

Warum bereitest du dich nicht auf den Tag des Gerichts, wo keiner den andern entschuldigen oder vertheidigen kann, wo jeder für sich selbst genug zu thun haben wird?

Jetzt ist dein Bemühen nicht fruchtlos, jetzt werden deine Thränen Gnade finden, jetzt werden deine Seufzer erhört, jetzt kann dein Schmerz und deine Reue (durch Glauben) Gerechtigkeit erlangen, und dir zur Läuterung und Reinigung dienen.

2. Ein großes und heilsames Läuterungs-Feuer hat ein Mensch, der Geduld übt, der Kränkungen trägt, und dabei sich mehr um des Andern Bosheit, als um des eignen erlittenen Unrechts willen, kränkt; der für seine Feinde aufrichtig betet, die Beleidigungen von Herzen verzeiht, und die Beleidiger selbst zuerst um Vtrgebung bittet; der sich leichter zum Mitleiden, als zum Zorn bewegen läßt; der sich selbst oft Gewalt anthut, und das Fleisch vollkommen dem Geiste zu unterwerfen strebt.

Besser ist es, jetzt sich von Sünden reinigen, und die Laster ausrotten, als die Reinigung in die Ewigkeit verschieben wollen. Wahrhaftig, wir betrügen uns selbst durch die ungeordnete Liebe, die wir zu unserm Fleische unterhalten.

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Wenn du bis heute immer in lauter Ehren und Wollüsten gelebt hättest was würde dir alles dieses helfen, wenn du diesen Augenblick sterben müßtest?

9. Es ist also alles Eitelkeit, außer Gott lieben und ihm allein dienen.

Denn, wer Gott von ganzem Herzen liebt, der fürchtet weder Tod noch Strafe, weder Gericht noch Hölle. Denn die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, verschafft ihm einen freudigen Zutritt zu Gott.

Wer aber noch mit Lust sündiget, bei dem ist es sehr natürlich, daß er Tod und Gericht fürchtet.

Doch wenn dich die Liebe noch nicht vom Bösen abhalten kann, so laß dich doch wenigstens durch die Furcht vor der ewigen Pein abschrecken.

Wer aber die Furcht Gottes verläßt, der wird nicht lange im Guten beharren, sondern eher als er glaubt, in die Stricke des Teufels fallen.

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