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Die rot-grüne Regierung senkt die Einkommenssteuer (15. Juli 2000)

Ein Journalist untersucht das komplizierte parlamentarische Manöver, das Bundeskanzler Schröder anwenden musste, um eine Senkung der Einkommenssteuer durchzubringen, zeigt einige der Probleme der stärkeren Senkung der Gewerbesteuer gegenüber der Einkommenssteuer auf und lobt die Maßnahme als Zeichen für eine Auflösung des Reformstaus.

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„Die unvermeidbare Reform”


Spektakulär mag die Art und Weise gewesen sein, wie der Bundeskanzler sich im Bundesrat die Mehrheit für die Steuerreform seines Finanzministers beschafft hat. Vermutlich hat er sich dank Feilschen, Bitten und Drohen im Endeffekt aber nur eine ruhige Sommerpause gesichert. Danach wäre es nach allem, was man heute weiß, so oder so zum Ja in der Länderkammer gekommen; äußerst unwahrscheinlich jedenfalls, dass die Reform auch nach einem zweiten Vermittlungsverfahren im Herbst gescheitert wäre. Eichels Gesetz ist, wenn man so will, längst eine unvermeidbare Reform geworden. Unvermeidbar, weil die Richtung nach Meinung der meisten Experten stimmt, auch solcher, die der Union nahe stehen; unvermeidbar, weil CDU und CSU sich mit einem konsequenten Nein gegen fast die gesamte deutsche Wirtschaft gestellt hätten; unvermeidbar, weil die Folgen einer Verhinderungsstrategie für die Bundesländer unkalkulierbar geworden wären; unvermeidbar schließlich wegen des im Falle eines Scheiterns drohenden Imageschadens für das ganze Land.

Gute und schlechte Einkommen

Als Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bundes- und Landesregierungen in letzter Minute hat die Reform sogar noch ein wenig gewonnen. Der Spitzensatz bei der Einkommensteuer soll um einen weiteren Prozentpunkt sinken, ältere mittelständische Unternehmer müssen, wenn sie ihren Betrieb verkaufen wollen, nur noch den halben Steuersatz zahlen; eine entsprechende Regelung hatte es früher schon gegeben, sie war erst im vorigen Jahre im Zuge der Sparpolitik abgeschafft worden und kommt nun wieder ins Gesetz. Beides zusammen soll die Steuerzahler im Endeffekt um weitere acht Milliarden Mark entlasten.

Wohlgemerkt, das Vermittlungsverfahren und die direkte Kompromiss-Suche zwischen Bund und Ländern haben aus der Steuerreform noch kein gutes Gesetz gemacht, vom Standpunkt der Steuersystematik aus ist sie sogar ausgesprochen schlecht. Ein zentraler Webfehler durchzieht das gesamte Werk seit seiner Entstehung, ein Fehler, der nur durch ein völlig neues Gesetz hätte behoben werden können: Es ist die unterschiedliche Behandlung von Unternehmer- und Unternehmenseinkommen. Letztere werden bevorzugt, erstere benachteiligt. Es gibt viele Begründungen für diese Diskriminierung, am Anfang stand wohl die in ihrer Pauschalität völlig falsche These, Geld, das im Unternehmen bleibe, werde investiert, Ausschüttungen dagegen flössen in den Konsum der Reichen. Die falsche Theorie zeitigte bedenkliche Ergebnisse: Der Satz der Körperschaftsteuer, den nur Kapitalgesellschaften bezahlen, sinkt viel stärker (auf 25 Prozent), als der Spitzensatz der Einkommensteuer (auf nun 42 Prozent). Weil nun aber Handwerker und Familienbetriebe Einkommen- und nicht Körperschaftsteuer zahlen, war ein kompliziertes Regelwerk nötig, um allzu große Nachteile für den Mittelstand zu vermeiden, ein Ziel, das im Endeffekt wohl nicht ganz erreicht wurde. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der Zentralverband des deutschen Handwerks als einziger Wirtschaftsverband offen Front gegen die Reform machte. Auch in einem zweiten Punkt bevorzugt die Steuerreform die Grossunternehmen: Beteiligungsbesitz darf vom nächsten Jahr an steuerfrei veräußert werden. Diese Vorschrift erlaubt es zum Beispiel den deutschen Banken und Versicherungen, sich äußerst kostengünstig für den verschärften internationalen Wettbewerb neu zu strukturieren. Das ist viel mehr, als die Wirtschaft vor einem Jahr noch zu fordern, geschweige denn zu hoffen gewagt hatte. Der Börsenkurs der Allianz ist am Freitag um stolze sechs Prozent gestiegen. Die Diskriminierung von Einzelpersonen und Personengesellschaften gegenüber den Großunternehmen hat aus Sicht des Finanzministers einen Vorteil: Sie macht die spektakuläre Senkung der Körperschaftsteuer überhaupt erst bezahlbar. Diese jedoch ist es, die gegenüber Investoren aus dem Ausland den Ausschlag gibt. Nominell niedrige Steuersätze geben im Standortwettbewerb - soweit er überhaupt mit Steuerargumenten geführt wird - das stärkste Argument. Die Reform ist daher ein eindeutiges Plus für Deutschland, wenn es darum geht, im Rahmen der globalisierten Wirtschaft Arbeitsplätze ins Land zu holen. Zu den Gewinnern der Steuerreform gehören neben den ganz Grossen auch die ganz Kleinen. Der Einkommensteuertarif führt besonders bei Geringverdienern zu deutlichen, und in der Sache gerechtfertigten Entlastungen. Schlechter dran ist die Mitte: Bei Fachkräften mit gehobenem Einkommen schlägt die Progression hart zu, der Spitzentarif muss bereits bei einem Jahreseinkommen von 98 000 Mark gezahlt werden. Dieser unverhältnismäßige Zugriff auf die Einkommen der Neuen Mitte ist der Preis, den Eichel für die gewollte Unterscheidung zwischen guten und schlechten Einkommen bezahlen muss. Kein Zweifel, von der Systematik her wäre der Gegenentwurf der CSU für eine Steuerreform viel eleganter, seine Entlastungswirkung überzeugender gewesen. Nur eben: Es war ein Entwurf aus der Opposition heraus und entsprechend unrealistisch teuer. Bei den anderen Länderfinanzministern, auch denen der Union, wäre er niemals durchzusetzen gewesen. Im übrigen hat die Union während der letzten Legislaturperiode ihr Fehlersoll in Sachen Steuern übererfüllt. Theo Waigel, damals Finanzminister und CSU-Chef, griff das Thema Steuerreform viel zu spät auf und verwarf kluge Vorschläge, weil er die unpopuläre Kürzung von Steuervergünstigungen fürchtete. Der Bundeskanzler ließ das Thema lange schleifen und lief dann in die Blockadefalle, die die SPD kurz vor der Bundestagswahl verständlicherweise aufgestellt hatte.

Ende des Reformstaus

Die Erinnerung an den Stillstand der Steuerpolitik während der letzten Kohl-Jahre hat dem Eichel-Konzept viele Unterstützer aus der Wirtschaft zugeführt. Man hat sein Konzept als eine Politikwende nicht nur im Vergleich zum Kurs des unmittelbaren Vorgängers Oskar Lafontaine wahrgenommen, sondern auch zur politischen Praxis der alten Koalition. Daher machte sich in der Wirtschaft eine Stimmung breit, die ein Spitzenmanager diese Woche mit den Worten beschrieb: „Das Schlimmste, was uns jetzt passieren kann, ist, dass jetzt nichts passiert.” Eine Steuerreform, so die Überzeugung, ist in diesem Jahr zu haben, oder nie. Die deutsche Politik muss jetzt beweisen, dass sie handeln kann, wenn das Land international noch wahrgenommen werden soll. Nun gibt es also eine komplizierte Reform mit vielen Macken. Sie wird die Finanzgerichte noch ausführlich beschäftigen; möglicherweise müssen einzelne Vorschriften über die Besteuerung der Unternehmen auch noch nachgebessert werden. Aber es ist immerhin eine Reform. Die Steuerzahler werden um insgesamt über 50 Milliarden Mark entlastet, die Unternehmen haben eine Kalkulationsgrundlage für die Zukunft, und im Ausland kann die Bundesrepublik mit niedrigeren Steuersätzen um Investitionskapital werben. Das alte Klischee vom Reformstau in Deutschland ist jedenfalls obsolet geworden.

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Quelle: Nikolaus Piper, „Die unvermeidbare Reform“, Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2000.

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