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Armut und Reichtum (21. April 2005)

Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt in Deutschland seit dem Jahr 2000 zu. Allerdings weist der Autor vereinfachende Kausalitäten zurück. Lohnquoten, Gewinnquote und die Verteilung der Einkommen auf Haushalte müssten berücksichtigt werden. Langfristige Arbeitslosigkeit fordere ihr Tribut. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern, die eine niedrige Armutsquote aufweisen.

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Ungleichheit in Deutschland
Vier Billionen Euro Geldvermögen


In der Debatte um Armut und Reichtum ist eines unbestritten: Die Deutschen werden immer reicher. Ende 2004 überschritt das Geldvermögen der privaten Haushalte (also ohne Immobilienbesitz) die Summe von vier Billionen Euro. Aber diese Zahl gibt keine Antwort auf die Frage, wer wie viel verdient und wie sich der der Wohlstand verteilt.

Wer heute von schamlosem Kapitalismus redet, der hat vor allem die spektakulären Gewinne der Wirtschaft im Blick. So war im Jahr 2004 der Jahresüberschuss der 30 Dax-Unternehmen um annähernd 75 Prozent höher als im Jahr davor, während gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen eine Rekordhöhe erreichte. Aber Großkonzerne stehen nicht für die gesamte Wirtschaft. Einen besseren Einblick in die Ergebnisse des Verteilungskampfes gibt die Trennung des Volkseinkommens in Lohnquote (Löhne und Gehälter) einerseits und Gewinnquote (Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und Vermögen) andererseits.

Die Lohnquote lag 2004 bei 70,1 Prozent, die Gewinnquote bei 29,9 Prozent. Nie seit 1991 war die Lohnquote so niedrig und die Gewinnquote so hoch. Ein Blick auf die Zeit vor der Wiedervereinigung zeigt allerdings, dass die Lohnquote zeitweise noch viel niedriger lag (1960: 60,1 Prozent). Diese Zahlen belegen also nicht, dass sich die Verteilung der Einkommen kontinuierlich zulasten der Arbeitnehmer entwickelt habe.

Eindeutig nimmt dagegen die Ungleichheit der Einkommen zu, wenn man die Verteilung auf die Haushalte betrachtet. Diese Entwicklung hat sich gerade in jüngster Zeit verschärft. Etwa bis zum Jahr 2000 wurden die Reichen reicher, aber die Zahl der Personen in den untersten Einkommensklassen wuchs nicht. Jetzt gilt das Gegenteil, die Kluft zwischen Arm und Reich wird seit einigen Jahren wieder größer. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) drückt es plakativ so aus: »Mehr Armut durch steigende Arbeitslosigkeit.«

Zur Gruppe der einkommensarmen Personen zählt in Deutschland, wer einschließlich aller staatlichen Transfers (wie Rente, Kindergeld, Arbeitslosengeld) über weniger als 938 Euro im Monat verfügt. Das sind 60 Prozent des Mittelwertes aller Personen. Das Risiko, unter diese Grenze zu rutschen, ist gewachsen – trotz oder wegen rot-grüner Sozialpolitik. Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist der Anteil der Personen unter der Armutsgrenze zwischen 1998 und 2003 von 12,1 Prozent auf 13,5 Prozent gestiegen. Armut muss jedoch kein Dauerzustand sein. Erfahrungsgemäß hat nach zwei Jahren ein Drittel der Betroffenen wieder den Sprung über die Armutsgrenze geschafft. Von allen EU-Ländern ist zudem nur in Schweden und Dänemark der Anteil der Armen niedriger als in Deutschland.

Einzig unter den Alten hat die Armut eindeutig abgenommen. Die Einkommenslage älterer Menschen, so das DIW, hat sich »in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert«. In der Gruppe der 60- bis 70-Jährigen finden sich heute die höchsten Vermögensbestände. Vieles spricht aber dafür, dass die Ungleichheit bei den Alten an Bedeutung gewinnt. Viele der Langzeitarbeitslosen von heute gehen in den kommenden Jahren in Rente und müssen dann mit niedrigen Einkommen zurechtkommen.



Quelle: Klaus-Peter Schmid, „Ungleichheit in Deutschland“, Die Zeit, Nr. 17. 21. April 2005.

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