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Frauen als Verlierer der Einheit? (Oktober 1999)

Anlässlich des 10. Jahrestages des Falls der Mauer analysiert die Autorin, langjährige Herausgeberin des Deutschland Archivs, die heutige Lage der Frauen in den neuen Bundesländern, vergleicht sie mit der in der ehemaligen DDR und in Westdeutschland und erklärt, warum sich viele Frauen heute als Verlierer der Einheit fühlen.

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Perfekte Organisatorinnen


„Wir sind die Verlierer der Einheit“, sagt Ursula H., 56, und niemand widerspricht ihr. Im nordsächsischen Lauta treffen sich alle vier Wochen 20 Frauen in einer Arbeitslosen-Selbsthilfegruppe. Früher waren sie Kolleginnen, arbeiteten in dem Kabelwerk, das 1991 dichtmachte. Die Aussichten sind düster. Die wenigen anderen Großbetriebe, die es zu DDR-Zeiten hier gab, wurden ebenfalls geschlossen. Von den ehemaligen Kabelwerkerinnen hat kaum jede zehnte wieder einen festen Job gefunden. Die übrigen versuchen, die Zeit bis zur Rente – bei manchen noch mehr als zehn Jahre – möglichst mit ABM-Stellen zu überbrücken. Laufen diese aus, besteht erst einmal wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld, und das Abrutschen in die bedeutend niedrigere Arbeitslosenhilfe ist zumindest aufgeschoben.

Die Arbeitslosenquote liegt bei den Frauen in den ostdeutschen Bundesländern seit Jahren doppelt so hoch wie bei Männern. Knapp drei Viertel der Langzeitarbeitslosen sind weiblich. Das hat einmal damit zu tun, daß im Zuge des wirtschaftlichen Transformationsprozesses viele Unternehmen auf der Strecke blieben, die überwiegend Frauen beschäftigten. Darüber hinaus gibt es aber auch einen krassen Verdrängungswettbewerb. Nach Angaben des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben Männer zwischen 1991 und 1995 im Dienstleistungssektor insgesamt 114 000 Arbeitsplätze hinzugewonnen, während Frauen 50 000 verloren. Die ostdeutsche Soziologin Sabine Schenk konstatiert dementsprechend folgende „Entwicklungsverläufe“: „Vormals frauentypische Branchen werden zu Mischbranchen (Handel, Banken/Versicherungen, andere Dienstleistungen). – Mischbranchen werden zu tendenziell männerdominierten Branchen (übriges verarbeitendes Gewerbe, Landwirtschaft). – Traditionell männertypische Branchen schließen sich weiter gegen Frauenerwerbstätigkeit ab.“


Männer bevorzugt

Für diese Einschätzung spricht auch die Tatsache, daß weibliche Jugendliche auf dem ostdeutschen Ausbildungsmarkt extrem benachteiligt werden. Dementsprechend ist bei vielen Betriebsleitern eine deutliche Minderbewertung weiblicher Beschäftigter zu beobachten. Männer werden bei Einstellungen generell bevorzugt. Zu fragen ist, inwieweit hier Erfahrungen und Vorurteile aus früheren Zeiten nachwirken. Unter dem SED-Regime hatten Unternehmen nicht nur Planauflagen und sonstige Reglementierungen widerspruchslos hinzunehmen, sondern auch die vielfältigen Sonderregelungen für Mütter – Arbeitszeitverkürzungen, bezahltes Babyjahr, großzügige Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder, Haushaltstag usw. Wegen des systembedingten Mangels an Arbeitskräften führte das zwar nicht zu einer Verdrängung aus den Betrieben, wohl aber zu der Neigung, Frauen prinzipiell als weniger zuverlässig und disponibel einzuschätzen. Ihre Arbeitskraft wurde zwar gebraucht, hatte aber wegen der Doppelrolle im Beruf und Familie einen geringeren Stellenwert. Zudem wurden Schulabgängerinnen seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend auf Ausbildungsplätze mit minderem Ansehen und schlechterer Entlohnung verwiesen. Nun haben Firmenleiter die freie Wahl, und es gilt – wie im Westen – nun auch im Osten: In Krisenzeiten sitzen Frauen meistens am kürzeren Hebel.

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