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Das Problem der Rente (13. Februar 1996)

Der Autor, Richter an einem Landessozialgericht, erinnert an den Generationenvertrag, der in den fünfziger Jahren geschmiedet wurde und kritisiert dessen politische Umsetzung. Vierzig Jahre später, so kritisiert er, sei die Privilegierung der Alten nicht länger aufrecht zu erhalten; ein Generationenkrieg stehe bevor, doch die Politiker wollen die Probleme nicht offen angehen.

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Junge Menschen ausbilden, nicht alte zum Sonnen nach Mallorca schicken. In 40 Jahren wurde die Idee der Generationensolidarität ins Gegenteil verkehrt: Das Rentensystem begünstigt die Reichen und die Alten.


Ein Sozialstaat, der mehr Erwartungen weckt, als er erfüllen kann, provoziert massenhafte Enttäuschung, Erbitterung, radikalen Protest – und delegitimiert im Ergebnis das ganze politische System, so der Münchner Sozialhistoriker Hans-Günther Hockerts zum Scheitern des Weimarer Sozialstaats.

Und heute? Noch im April 1995 versprachen die Politiker Rentensicherheit bis ins Jahr 2040. Inzwischen bezichtigen sich Regierung und Opposition wechselseitig des Rentendiebstahls und der -hehlerei. Die Rentenpolitik steht vor dem Offenbarungseid. Es ist nicht lange her, da schrieb BfA-Präsident Rische in seiner Hauszeitschrift, die bloße Diskussion über die Renten sei gefährlicher für das System als die katastrophale demographische Entwicklung selbst. Und was macht man in Bonn, während die wirtschaftlichen und demographischen Fundamente des Rentenhauses wegbrechen? Man beschäftigt sich mit Fragen des Möbelrückens und der Dekoration! Frührente, versicherungsfremde Leistungen, Invaliditätsvoraussetzungen – ein bisschen Verschiebebahnhof hier, ein bisschen Kosmetik dort. Bloß keine Grundsatzdebatte, bloß nicht an die tieferen Ursachen herangehen: Dass nämlich der großartige Gedanke der Generationensolidarität von der Politik von Anfang an gründlich verdorben wurde und dass wir nun ein auf Selbstzerstörung programmiertes System haben. Dass dieses den wachsenden Belastungen durch die Globalisierung, die Veränderung der Altersstruktur, die Staatsverschuldung und die sozialen Folgenkosten der Umweltzerstörung standhält, erscheint ausgeschlossen.

Vor fast vierzig Jahren fing alles an. Am 1. Januar 1957 trat die Dynamische Rente in Kraft. Buchstäblich über Nacht stiegen die Renten damals von Taschengeldleistungen in Höhe von rund einem Viertel der durchschnittlichen Erwerbseinkommen auf die lohnersetzende, lebensstandardsichernde Höhe von nahezu 70 Prozent an. Beiträge für solche Renten hatte keiner der glücklichen Rentner damals gezahlt, höchstens Pfennigbeträge für die seit Bismarck überkommenen Minirenten. Ihren plötzlichen Wohlstand verdankten die Rentner dem Mathematiker und Volkswirt Wilfrid Schreiber und seiner epochemachenden, nur 46 Seiten starken Schrift Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft (1955): Die bürgerliche Kleinfamilie sei nicht länger in der Lage, ihren Mitgliedern noch Sicherheit zu bieten, deshalb müsse das Kollektiv einer familiären Gesellschaft diese Aufgabe übernehmen; dazu seien die familiären Leistungsströme auf der Ebene der Sozialleistungssysteme nachzubilden. Wie jeder Mensch in der Familie im Laufe seines Lebens als Kind und im Alter zwei Leistungen empfange und als Erwachsener auch in beide Richtungen gebe, müssten auch die Sozialsysteme symmetrisch ausgestaltet werden: Durch zwei Solidarverträge zwischen je zwei Generationen. Mache man die Alterssicherung zu einer Aufgabe der Gesellschaft, müsse entsprechendes für den Unterhalt der Kindergeneration gelten; spiegelbildlich müsse deshalb dem neu zu schaffenden Altersrentensystem ein Jugendrentensystem gegenübergestellt werden. Die Verteilung des Sozialproduktes zwischen den drei beteiligten Generationen sei dann ein reines Rechenexempel und erlaube ohne weiteres die Beteiligung der Rentner wie der Kinder an den dynamischen Produktionssteigerungen. Diese Transparenz dürfe durch Mischfinanzierungen wie beispielsweise den Bundeszuschuss keinesfalls vernebelt werden; damit gaukle der Staat den Bürgern in der Gloriole des Wohltäters nur staatliche Omnipotenz vor. Das ganze sei eine Einrichtung der Volkssolidarität und habe nichts mit einer Versicherung zu tun, die bei den Leuten nur völlig falsche Assoziationen auslöse.

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