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Deutsche Einheit im Mittelpunkt (30. Januar 1991)

Vor dem Hintergrund des Irak-Krieges 1990-91 sichert Bundeskanzler Helmut Kohl den westlichen Bündnispartnern deutsche Solidarität zu, bevor er zu seinem eigentlichen Thema, der deutschen Einheit, übergeht. Das Ziel sei, in ganz Deutschland gleiche Lebenschancen zu erreichen.

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Diese Regierungserklärung fällt in eine Zeit, in der sich viele Menschen weltweit große Sorgen machen: wegen des Krieges am Golf, aber auch wegen der Vorgänge im Baltikum. Wer könnte diese Sorgen besser nachvollziehen als wir Deutschen, die wir – aus der Schuld der NS-Diktatur – die Schrecken und Leiden des Krieges am eigenen Leib erfahren mußten.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund sind wir um so dankbarer, daß wir im vergangenen Jahr die gemeinsame Freiheit für alle Deutschen gewinnen konnten. Dies nimmt uns besonders in die Pflicht. Die vergangenen Jahre waren eine Zeit der Hoffnung und der großen Zuversicht. Langgehegte Träume gingen für uns in Erfüllung, und unser Augenmerk richtet sich vor allem auf die Chancen, die der Wandel auf unserem Kontinent und in anderen Teilen der Welt verhieß.

Bei der Gestaltung der Zukunft wollen wir von unserer gemeinsamen Freiheit verantwortlichen Gebrauch machen. Das bedeutet, nicht nur das Wohl unseres eigenen Volkes im Blick zu haben. Denn im Leben jedes einzelnen wie auch für das staatliche Handeln gilt: Freiheit und Verantwortung gehören unauflöslich zusammen.

Angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen wäre es ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir vor neuen Gefährdungen von Frieden und Freiheit die Augen verschlössen. Ebenso gefährlich wären aber auch Resignation und Flucht aus der Verantwortung. Die militärischen Auseinandersetzungen am Golf gehen jetzt in die dritte Woche. Kaum jemals zuvor hatte die Völkergemeinschaft ähnliche politische Anstrengungen unternommen, um einen bewaffneten Konflikt abzuwenden. Sie alle scheiterten an der kategorischen Weigerung des Irak, die Beschlüsse der Vereinten Nationen – also den Willen der Völkergemeinschaft – zu erfüllen und die gewaltsame Annexion Kuwaits rückgängig zu machen. Der irakische Präsident Saddam Hussein allein hat diesen Krieg zu verantworten, den Krieg, den er am 2. August 1990 durch den brutalen Überfall auf Kuwait begonnen hat. Er hat es in der Hand, ihn sofort zu beenden. Er hat Kuwait unverzüglich und vollständig zu räumen. Eine Bereitschaft Saddam Husseins zum Einlenken ist bis jetzt nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die barbarische Vorführung offensichtlich mißhandelter alliierter Kriegsgefangener vor den Medien, die Aufforderung zu weltweitem Terror, die vorsätzliche Verseuchung des Golfs mit einer Ölpest und die jüngste Drohung mit dem Einsatz atomarer, biologischer und chemischer Waffen lassen die klare Absicht erkennen, diesen Krieg zu eskalieren. Zugleich versucht er, ihn auf Unbeteiligte auszudehnen. Die Angriffe irakischer Raketen auf Israel haben nur ein Ziel: Israel soll um jeden Preis in die militärischen Auseinandersetzungen am Golf hineingezogen werden. Dies ist ein Anschlag auf die Unversehrtheit und auf das Lebensrecht Israels.

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