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Gelebte Integration: Frankreich und Deutschland (8. Juni 2006)

Am Beispiel eines Grenzgebietes zwischen dem Elsaß und Baden beschreibt der Artikel deutsch-französische Integration auf lokaler Ebene, wo grenzüberschreitende Kooperation in vielen Bereichen gang und gäbe ist.

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Käse aus Frankreich, Konserven aus Deutschland
Die Grenzgänger zwischen dem Elsaß und Baden gehören zur Normalität


Der Marktplatz von Neuf Brisach wird neu gepflastert. Auch der Gedenkstein für die Opfer der Weltkriege bekommt eine neue Einfassung. Charles Koch oder Joseph Heinrich heißen die Toten, deren hier gedacht wird. Die Straßen der elsässischen Grenzstadt sind leer. Nur wenige Menschen und kaum Autos sind zu sehen. Vor der „Kirche des Heiligen Ludwigs“ hat sich eine Hochzeitsgesellschaft versammelt. „Au Bon Marchand“ steht an einer Hauswand, die Schrift ist verwittert. „Alle jungen Ehepaare gehen weg, der große Baumeister Vauban hat es so gebaut, das steht so seit 300 Jahren, deshalb gehen die jungen Leute“, sagt der Stadtführer. Funktionale Einfamilienhäuser dürfen im denkmalgeschützten Stadtkern von Neuf Brisach nicht gebaut werden. Riesige Festungsmauern umgeben ihn, die Fläche zwischen den Wällen ist begrünt.

Junge französische Familien suchen sich Wohnungen und Häuser in den umliegenden Gemeinden. Auch viele Deutsche, die in Freiburg oder Karlsruhe arbeiten, bauen ihre Einfamilienhäuser dort. Für den Stadtführer in Neuf Brisach sind die Deutschen, die im Elsaß leben, längst Normalität. „Gestern Feinde, heute Freunde“, sagt er und fügt hinzu: „Wenn sich Israelis und Palästinenser so vertragen würden wie Deutsche und Franzosen, dann wäre viel erreicht.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg war die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein zwischen der Schweiz, Frankreich und Deutschland fast vollständig zum Erliegen gekommen – fast alle Rheinbrücken waren zerstört.

Heute gibt es unzählige Organisationen, die zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Lebens beitragen sollen: An erster Stelle stehen die Oberrheinkonferenz und der Oberrheinrat, auf unterer Ebene wurden die drei Eurodistrikte (Freiburg/Centre Sud Alsace; Strasbourg/Ortenau und Basel) geschaffen. Zusätzlich hat fast jeder Verband seine eigene grenzüberschreitende Organisation. Die Debatte über eine Straffung der Organisationsvielfalt kommt seit Jahren nicht voran.

Für Maurice Zimmerle, den Bürgermeister von Neuf Brisach, ist der Rhein, der seine Stadt von der deutschen Partnerstadt Breisach trennt und über Jahrhunderte Grund für Kriege und Mißgunst war, heute keine Grenze mehr: „Der Rhein ist ein Mittel zum Zweck, wir leben miteinander und füreinander“, sagt er. Ärgerlich seien nur Kleinigkeiten, die den deutsch-französischen Alltag manchmal erschwerten, wie etwa, daß die französische Feuerwehr ihre Wasserschläuche nicht an die der deutschen Feuerwehr anschließen könne. Schwierigkeiten bereiten nach der Erfahrung des Bürgermeisters auch unterschiedliche Bauvorschriften. „In Frankreich muß eine Zimmerdecke nur 20 Zentimeter dick sein, in Deutschland 40 Zentimeter“, sagt er.

Die deutsch-französische Normalität läßt sich in der kleinen Gemeinde Volgelsheim besichtigen. Hinter einer alten Kaserne liegt ein kleines Neubaugebiet mit gelben, blauen und roten Häusern, Kleinkinder spielen auf der Wohnstraße, die Rue des Oiseleur heißt. Hervé Piernot steht vor seinem Haus und debattiert mit den Nachbarn. Er ist einer von 90 000 Grenzgängern der Region Oberrhein: Piernot arbeitet im Außendienst für eine Schweizer Firma in Basel, lebt aber mit seiner deutschen Frau und seinem Sohn in Volgelsheim. Seine Frau ist Beamtin in Deutschland. Jeden Tag pendelt er nach Basel, sie fährt jeden Tag nach Freiburg. „Die Grundstücke hier sind billiger, das Bauen ist günstiger, für 200 000 Euro bekomme ich in Freiburg ein solches Einfamilienhaus nicht“, sagt Piernot und deutet auf sein gelb gestrichenes Haus. Seit acht Jahren lebt er in Volgelsheim. Nur zwischen Luxemburg und Belgien, Frankreich und Deutschland gibt es innerhalb der Europäischen Region mehr Grenzgänger als dort.

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