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Johann Wolfgang von Goethe, Auszüge aus Faust (1808)

Goethe arbeitete zeit seines künstlerischen Lebens am Faust, veröffentlichte Teil I 1808 und vollendete 1832, in seinem Todesjahr, Teil II. Dieses dichterische Meisterwerk dramatisiert die vergebliche und oft selbstzerstörerische Suche des Menschen nach transzendentalem Wissen und Verstehen der Dinge in ihrer Gesamtheit. Es wirft die Frage auf, wie – und mit welcher moralischen und philosophischen Rechtfertigung – auf die menschliche Vernunft eingewirkt werden soll (in der Einsicht, dass Wissen an und für sich ein unbefriedigender Besitz ist). Faust verkörpert teilweise die amoralische, gänzlich vernunftorientierte Moderne, ist jedoch gleichzeitig auch Verfechter des menschlichen Optimismus gegen Mephistos scharfsinnigen, doch letztlich unfruchtbaren Nihilismus. Auf diese Weise setzt sich Faust mit bedeutenden Themen der Aufklärung und der darauf folgenden Epoche auseinander.

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FAUST

Johann Wolfgang von Goethe


PROLOG IM HIMMEL

Derr Herr. Die himmlischen Heerscharen.
Nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.

Raphael:
Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag.
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Gabriel:
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.

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