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Norbert Blüm und Wolfgang Schäuble diskutieren über den Standort der Hauptstadt (20. Juni 1991)

Während der Bundestagsdebatte über den Standort der Hauptstadt führte der sozialpolitische Sprecher der CDU, Norbert Blüm, ins Feld, dass Bonn für den demokratischen Neubeginn stehe und ein Umzug zu kostspielig sei, während sein CDU-Kollege, der rechtspolitische Experte Wolfgang Schäuble, Berlin als Symbol nationaler Einheit heraufbeschwor, das mithelfen würde, den europäischen Kontinent zu vereinen.

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Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob Berlin oder Bonn, ob das Parlament und die Regierung hier oder dort angesiedelt sind – der Streit darüber darf uns nicht die Freude nehmen, daß wir ein Volk sind, wiedervereint und frei,

(Beifall im ganzen Hause)

und daß wir wieder darüber debattieren können, wo Verfassungsorgane in Deutschland ihren Platz nehmen.

[ . . . ]

Aber auch das Verdienst von Bonn darf nach 40 Jahren Bundesrepublik nicht geringgeschätzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Mit dem Namen Bonn verbindet sich der längste freiheitliche und friedliche Zeitabschnitt unserer Geschichte. Es war eine gute Zeit – es ist eine gute Zeit –, die mit Bonn verbunden ist.

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Bonn hat sich über das Provisorium hinaus entwickelt. Es ist keine Durchgangsstation, wo auf Koffern regiert wurde. Bonn hat eigenes republikanisches Gewicht gewonnen. Große historische Stunden sind mit Bonn verbunden. Den Einigungsvertrag haben wir in Berlin und in Bonn verabschiedet. Wir haben ihm in Berlin und in Bonn zugestimmt.

Der Nationalstaat, den wir uns wünschen, ist europäisch eingebunden und regional gegliedert. Europäisierung und Regionalisierung, das sind die Pole eines modernen Nationalstaates. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Paßt in eine solche bundesstaatliche Lösung eine alles dominierende Hauptstadt?

(Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink [FDP]: Ja! – Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Ich meine: Nein. Eine Hauptstadt Berlin mit Parlaments- und Regierungssitz würde, so fürchte ich, eine Sogwirkung erzeugen, die auch das neugewonnene Selbstbewußtsein der neuen Bundesländer unterspülte.

Nicht ohne Grund verlegen Staaten mit kräftigem föderalen Selbstbewußtsein ihren Parlaments- und Regierungssitz nicht in die größte Stadt: Die Amerikaner verlegten ihn nicht nach New York, sondern nach Washington; die Kanadier nicht nach Montreal oder Toronto, sondern nach Ottawa; die Schweizer nicht nach Zürich, sondern nach Bern. Sollten wir an der Klugheit und Erfahrung anderer föderaler Staaten nicht Maß nehmen?

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