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Elitenaustausch (2001)

Gregor Gysi, langjähriger Parteivorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und ihr bekanntestes Zugpferd, kritisiert den weit reichenden Elitenwechsel in der ehemaligen DDR, der alle Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erfasste. Er geht dabei auch auf die Instrumente und Methoden des Elitenaustausches ein, insbesondere die Überprüfungen durch die so genannte Gauck-Behörde und die Schließung von Einrichtungen in der DDR.

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Als die deutsche Einheit hergestellt wurde, musste neben vielen anderen Fragen entschieden werden, was aus den ostdeutschen Eliten werden sollte. Einen der größten Fehler des Vereinigungsprozesses sehe ich darin, dass aus zwar nachvollziehbaren, aber letztlich nicht zu rechtfertigenden Gründen beschlossen wurde, in der ostdeutschen Teilgesellschaft einen Elitenwechsel zu organisieren; ein Schritt, der gravierende Folgen gehabt hat.

Im Kern liegt dem weitgehenden Ausschluss ostdeutscher Eliten einerseits und den »Abwicklungen« in Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Kultur und Sport andererseits das gleiche Problem zugrunde. Die Bundesrepublik Deutschland war ein in sich geschlossenes System. Sie verfügte über alles, was sie brauchte, und wäre ohne größere Schwierigkeiten imstande gewesen, die hinzukommenden ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger auch dann zu versorgen, wenn sämtliche DDR-Unternehmen mit dem Beitritt aufgehört hätten zu existieren. Wenn man aber etwas existentiell nicht braucht, dann liegt es nahe, es »abzuwickeln«. Was dennoch bleibt, bleibt nicht aus Notwendigkeit, sondern eher aufgrund gnädiger Zugeständnisse.

Der Berliner CDU-Politiker Klaus Landowsky erklärte mir in einem Gespräch, Berlin hätte die Charité nicht benötigt, da die Virchow-Klinik in der Lage gewesen wäre, deren Aufgaben mit zu realisieren. »Aber« – so fügte er hinzu – »wir konnten doch nicht auch noch die Charité zumachen.« Das klingt, als ließe man Gnade vor Recht ergehen, und das spürten natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter solcher Einrichtungen. Die Übernahme wirkte deshalb gelegentlich demütigender als die Schließung, und die Art und Weise, wie solche Übernahmen vollzogen wurden, diente auch zur Disziplinierung der regelmäßig reduzierten Belegschaften. Die Verbliebenen wussten sehr genau, dass man nicht zwingend auf sie angewiesen war, dass sie den Fortbestand ihres Arbeitsplatzes einer gewissen Großzügigkeit zu verdanken hatten.

Hierin liegt ein großer Unterschied zu den osteuropäischen Staaten. Dort musste man die Unternehmen, die wissenschaftlichen, kulturellen und sportlichen Einrichtungen im Wesentlichen übernehmen, weil man sonst keine gehabt hätte. Eine solche Situation gab es für die neuen Bundesländer nicht. Die BRD hatte von allem ausreichend. Das ist die Kehrseite davon, dass den Ostdeutschen durch den Beitritt andererseits der Vorteil zugute kam, einen relativ reichen Partner zu haben, der sämtliche Umwälzungsprozesse sozial einigermaßen abfederte und den Aufbau einer Infrastruktur finanzieren konnte. Ein solcher Partner fehlte den anderen osteuropäischen Staaten.

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