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Eigentum und Gerechtigkeit (19. Februar 2004)

Richard Schröder wurde 1990 als SPD-Mitglied in die Volkskammer der DDR gewählt. Angesichts der erneut aufflammenden Diskussion, wie mit den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone (1945-49) umzugehen sei, erinnert er an die Rolle der Volkskammer der DDR bei der Lösung der Restitutionsfragen. Er wehrt sich gegen eine Interpretation, wonach die DDR 1990 von der Bundesrepublik wie ein afrikanisches Hirtenvolk (Hereros) behandelt worden sei. Mit dem Hinweis auf die von Deutschland im späten neunzehnten Jahrhundert kolonisierten Hereros spielte Schröder auf die These von der Kolonisierung Ostdeutschlands durch den Westen an.

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„Also waren wir eure Hereros"

Die zweite Enteignung der Bodenreform-Opfer war ungerecht, aber unvermeidlich. Sonst hätte es einen Aufstand gegeben



Ein Verdacht geht um in Deutschland: „Am Anfang der deutschen Einigung stand eine Lüge.“ Da sei zielstrebig ein ungeheurer Verfassungsbruch inszeniert worden. Die Schuldigen seien Helmut Kohl, Lothar de Maizière und, zunehmend in den Vordergrund gerückt, Wolfgang Schäuble. Es geht um die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949, die im Einigungsvertrag von 1990 nicht rückgängig gemacht worden sind. Bisher wurden solche Argumentationen von denen vorgetragen, die um ihr verlorenes Eigentum kämpfen. Inzwischen hat sich der Verdacht zur Tatsachenbehauptung gewandelt.

Es geht um zwei Fragen: Hat die Bundesregierung 1990 alles unternommen, um jene Enteignungen rückgängig zu machen? Und hat die Sowjetunion tatsächlich verlangt, dass jene Enteignungen nicht rückgängig gemacht werden? Beides wird von den Altbesitzern verneint.

Die deutsche Einheit kam zustande durch Verhandlungen zwischen „Zwei plus Vier“. „Vier“, das waren die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, und „Zwei“, das waren die beiden deutschen Staaten. Im neuen Einigungsdiskurs geht es nunmehr um ein anderes Paar: die Bundesregierung und die Regierung der Sowjetunion. Die deutsche Einigung wird vorgestellt wie eine Art Einverleibung des willenlosen Ostens durch den Westen. Der Anwalt der Alteigentümer und ihrer Erben beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hat moniert, dass es Opfer erster und zweiter Klasse gebe. Die Opfer erster Klasse sind in seiner Argumentation nicht etwa diejenigen Deutschen, die eine zweite Diktatur erleben mussten und dazu eine Mangelwirtschaft, unter deren Folgen sie bis heute leiden, während die Westdeutschen dieselbe Zeit in Freiheit und mit beachtlichen Entfaltungs- und Erwerbschancen erleben durften. Es geht vielmehr um zwei Opfergruppen, die größtenteils 1990 Bundesbürger waren. Wer von ihnen hat von der deutschen Einigung mehr profitiert? Die einen, die nach 1949, also von der DDR, enteignet wurden, haben vom Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ profitiert, die anderen, die unter der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet wurden, sollen sich mit Ausgleichsleistungen begnügen. Und das ist natürlich ungerecht.

Die Gerechtigkeitsfrage ist hier wie so oft tatsächlich vertrackt und allseits befriedigend nicht lösbar. Doch in diesem neuen Einigungsdiskurs kommt die DDR nur vor wie eine Art Hongkong, das vom mächtigen Nachbarstaat geschluckt wurde. In Wirklichkeit aber hatte die DDR-Bevölkerung in einer friedlichen Revolution die SED-Diktatur zum Einsturz gebracht, in freien Wahlen sich eine legitime Volksvertretung gegeben und eine demokratische Regierung. Aber deren Meinung und Wille zählen in diesem neuen Wiedervereinigungsdiskurs nicht. Denn, so zum Beispiel die Autorin Constanze Paffrath (Macht und Eigentum) in der FAZ: „Die DDR hatte zu keiner Zeit die politische Macht, in den deutsch-deutschen Verhandlungen eigene Forderungen durchzusetzen.“

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