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Bismarck zur „pragmatischen” Kolonisierung (26. Juni 1884)

Bismarck widerstrebte der Gedanke, Kolonien offiziell zu erwerben, weil sie hohe Ausgaben, magere Profite und diplomatische Komplikationen in Aussicht stellten. Dennoch zwang ihn Anfang der 1880er Jahre die koloniale Propaganda von Publizisten wie Friedrich Fabri (1824-1891), sich mit der Angelegenheit zu befassen. Ein Grund, weshalb er 1884-1885 vorsichtig und zögerlich nachgab, war, dass die Kolonialfrage womöglich den regierungsfreundlichen Parteien in den bevorstehenden Reichstagswahlen nützen konnte. In dieser Rede versucht Bismarck sein pragmatisches Herangehen zu erklären, ohne bei einem Thema, das die nationalen Gemüter erregte halbherzig zu erscheinen.

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Was die Kolonialfrage im engeren Sinne anlangt, so wiederhole ich die Genesis derselben, wie ich sie damals angegeben habe. Wir sind zuerst durch die Unternehmung hanseatischer Kaufleute, verbunden mit Terrainankäufen und gefolgt von Anträgen auf Reichsschutz, dazu veranlaßt worden, die Frage, ob wir diesen Reichsschutz in dem gewünschten Maße versprechen könnten, einer näheren Prüfung zu unterziehen. Ich wiederhole, daß ich gegen Kolonien — ich will sagen, nach dem System, wie die meisten im vorigen Jahrhundert waren, was man jetzt das französische System nennen könnte —, gegen Kolonien, die als Unterlage ein Stück Land schaffen und dann Auswanderer herbeizuziehen suchen, Beamte anstellen und Garnisonen errichten —, daß ich meine frühere Abneigung gegen diese Art Kolonisation, die für andere Länder nützlich sein mag, für uns aber nicht ausführbar ist, heute noch nicht aufgegeben habe. Ich glaube, daß man Kolonialprojekte nicht künstlich schaffen kann, und alle Beispiele, die der Herr Abgeordnete Bamberger in der Kommission als abschreckend anführte, waren darauf zurückzuführen, daß dieser falsche Weg eingeschlagen war, daß man gewissermaßen einen Hafen hatte bauen wollen, wo noch kein Verkehr war, eine Stadt hatte bauen wollen, wo noch die Bewohner fehlten, wo dieselben erst künstlich herbeigezogen werden sollten. Etwas ganz anderes ist die Frage, ob es zweckmäßig, und zweitens, ob es die Pflicht des Deutschen Reiches ist, denjenigen seiner Untertanen, die solchen Unternehmungen im Vertrauen auf des Reiches Schutz sich hingeben, diesen Reichsschutz zu gewähren und ihnen gewisse Beihilfen in ihren Kolonialbestrebungen zu leisten, und denjenigen Gebilden, die aus den überschüssigen Säften des gesamten deutschen Körpers naturgemäß herauswachsen, in fremden Ländern Pflege und Schutz angedeihen zu lassen. Und das bejahe ich, allerdings mit weniger Sicherheit vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit — ich kann nicht voraussehen, was daraus wird —, aber mit unbedingter Sicherheit vom Standpunkte der staatlichen Pflicht.

(Sehr richtig! rechts.)

[ . . . ]

Meine von Seiner Majestät dem Kaiser gebilligte Absicht ist, die Verantwortlichkeit für die materielle Entwickelung der Kolonie ebenso wie ihr Entstehen der Tätigkeit und dem Unternehmungsgeiste unserer seefahrenden und handeltreibenden Mitbürger zu überlassen und weniger in der Form der Annektierung von überseeischen Provinzen an das Deutsche Reich vorzugehen als in der Form von Gewährung von Freibriefen nach Gestalt der englischen Royal charters, im Anschluß an die ruhmreiche Laufbahn, welche die englische Kaufmannschaft bei Gründung der Ostindischen Kompagnie zurückgelegt hat, und (Hört, hört! rechts) den Interessenten der Kolonie zugleich das Regieren derselben im wesentlichen zu überlassen und ihnen nur die Möglichkeit europäischer Jurisdiktion für Europäer und desjenigen Schutzes zu gewähren, den wir ohne stehende Garnison dort leisten können.

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