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Geheimer Rückversicherungsvertrag mit Russland (18. Juni 1887)

Bismarcks Bündnissystem hatte Österreich eng an Deutschland gebunden, in erster Linie durch den Zweibund von 1879. Um einen Zweifrontenkrieg zu verhindern, versuchte Bismarck zudem, Russland an Deutschland zu binden. Als der Dreikaiserbund zwischen Österreich, Deutschland und Russland 1887 auslief, wurde ein neues Abkommen mit Russland für notwendig erachtet. Das Ergebnis war der geheime Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Russland – vielleicht das umstrittenste unter Bismarcks komplizierten Bündnissen. Der Text dieses Vertrages hat Ähnlichkeiten mit dem Dreikaiservertrag von 1881. Die beiden Mächte versichern einander, dass sie in einem zukünftigen Konflikt wohlwollend neutral bleiben werden, außer bei einem unprovozierten Angriff Deutschlands auf Frankreich oder Russlands auf Österreich-Ungarn. Im Übrigen bemühte sich Bismarck um die Vermeidung jeglicher Widersprüche zu seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Verbündeten Österreich-Ungarn. Der Vertrag beinhaltete jedoch ein streng geheimes Zusatzprotokoll, das bis zum Ersten Weltkrieg nicht an die Öffentlichkeit drang. Das Protokoll war weniger leicht mit Deutschlands Festhalten am Zwei- und Dreibund in Einklang zu bringen. Diese Unvereinbarkeit – als Zeichen für Bismarcks Verzweiflung bewertet, sein Bündnissystem gegen Ende seiner Laufbahn aufrecht zu erhalten – resultierte1890 in der Nichtverlängerung des geheimen Rückversicherungsvertrags.

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Geheimer Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Rußland vom 18. Juni 1887


Die Kaiserlichen Höfe von Deutschland und Rußland, von dem gleichen Wunsche beseelt, den allgemeinen Frieden durch eine Verständigung zu festigen, die die Verteidigungsstellung der beiderseitigen Staaten sichern soll, haben beschlossen, im Hinblick darauf, daß der Geheimvertrag und das Geheimprotokoll, die von Deutschland, Rußland und Österreich-Ungarn im Jahre 1881 unterzeichnet und im Jahre 1884 erneuert wurden, am 15./27. Juni 1887 ablaufen*, das zwischen ihnen bestehende Einvernehmen durch ein Sonderabkommen zu bekräftigen.

[Sie haben durch ihre Bevollmächtigten vereinbart]**:

Art. I. Für den Fall, daß eine der hohen vertragschließenden Parteien sich mit einer dritten Großmacht im Kriege befinden sollte, wird die andere eine wohlwollende Neutralität bewahren und ihre Sorge darauf richten, den Streit örtlich zu begrenzen. Die Bestimmung soll auf einen Krieg gegen Österreich oder Frankreich keine Anwendung finden, falls dieser Krieg durch einen Angriff einer der hohen vertragschließenden Parteien gegen eine dieser beiden Mächte hervorgerufen ist.

Art. II. Deutschland erkennt die geschichtlich erworbenen Rechte Rußlands auf der Balkanhalbinsel an und insbesondere die Rechtmäßigkeit seines vorwiegenden und entscheidenden Einflusses in Bulgarien und Ostrumelien***. Die beiden Höfe verpflichten sich, keine Änderung des territorialen status quo der genannten Halbinsel ohne vorheriges Einverständnis zuzulassen und sich gegebenenfalls jedem Versuche, diesem status quo Abbruch zu tun oder ihn ohne ihr Einverständnis abzuändern, zu widersetzen.

Art. III. Die beiden Höfe erkennen den europäischen und gegenseitig bindenden Charakter des Grundsatzes der Schließung der Meerengen des Bosporus und der Dardanellen an, der begründet ist auf dem Völkerrechte, bestätigt durch die Verträge und zusammengefaßt in der Erklärung des zweiten Bevollmächtigten Rußlands in der Sitzung des Berliner Kongresses vom 12. Juli (Protokoll 19).



* Nämlich das Dreikaiserbündnis. [Alle Fußnoten stammen aus: Ernst Rudolf Huber, Hg., Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, 3. bearb. Aufl., Bd. 2, 1851-1900. Stuttgart: Kohlhammer, 1986, S. 498-99. ]
** Es folgt die Benennung der beiderseitigen Bevollmächtigten: des Grafen Herbert v. Bismarck, des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts, und des Grafen Paul Schuwalow, des russischen Botschafters in Berlin (1885–94).
*** Die durch den „Berliner Vertrag“ geschaffene Provinz Ostrumelien, die nominell unter der Hoheit des Türkischen Reichs verblieb, de facto aber seit 1885 durch einen Staatsstreich als Provinz Südbulgarien dem Königreich Bulgarien einverleibt war.

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