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Theodor Fritsch an Wilhelm Marr über neue Taktiken im Kampf gegen die Juden (1884-85)

Theodor Fritsch (1852-1933) war ein sehr produktiver Verfasser antisemitischer Abhandlungen – die er oft unter Pseudonymen wie Thomas Frey, Fritz Thor und F. Roderich Stoltheim veröffentlichte. Er agierte außerdem als Herausgeber antisemitischer Zeitungen, Zeitschriften und Handbücher. Die Nationalsozialisten sahen später in ihm einen Pionier ihrer Bewegung. Tatsächlich rührt Fritschs historische Bedeutung von seiner Rolle als Brücke zwischen zwei Generationen von Antisemiten her – und dies passt gut zu seinem selbst zurechtgemachten Image als verzweifelter Prophet. Im Jahr 1882 nahm er am Ersten Internationalen Antijüdischen Kongress in Dresden teil. 1887 veröffentlichte er den Antisemiten-Katechismus unter dem Namen Thomas Frey, das zu einem der meist gelesenen antisemitischen Werke seiner Zeit wurde. Im Jahr 1902 gründete er den Hammer-Verlag, der bis 1940 bestand. Während des Ersten Weltkriegs partizipierte er an mehreren politischen Initiativen der radikalen Rechten und trug zum zunehmenden Stellenwert des Antisemitismus innerhalb des Alldeutschen Verbandes bei. Die folgenden Textpassagen stammen aus Fritschs Briefen an Wilhelm Marr (1819-1904), einem weiteren antisemitischen Publizisten, der als Erster den Begriff „Antisemitismus“ prägte. In diesem Briefwechsel bringen die beiden Männer divergierende Meinungen über den damaligen Zustand der antisemitischen Bewegung in Deutschland, seine zukünftigen Aussichten und das Profitmotiv als Antrieb für viele ihrer Mitglieder zum Ausdruck. Fritsch, der Jüngere von beiden, vertritt radikalere Ansichten als Marr, den er in der Begrüßungsformel des ersten Briefes (die hier nicht enthalten ist) mit „Herr W. Marr, pessimistischer Ober-Antisemit in Hamburg“ tituliert. Marr beschreibt die Juden mit einer Terminologie, die ebenso herabsetzend ist wie die später im Dritten Reich verwendete.

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I.

Leipzig, den 8. Mai 1884

[ . . . ]

Ich mache mir ganz dieselben Gedanken wie Sie über die heutige Lage des Antisemitismus. Ich suche auch rastlos nach dem Hebelpunkt, an dem die Judenwelt aus den Angeln zu werfen wäre. Solange wir als Bettler kommen, gewinnen wir die Liebe des Volkes nicht. Die Liebe will den Geliebten stolz, wie einen König, nicht wie einen kriechenden Bettler sehen. Die Macht und der Erfolg sind das Ausschlaggebende für die Sympathie der Masse und solange Macht und Erfolg auf Seiten der Juden sich, neigen sich ihnen auch die Herzen der Menge zu. Sie kennen ja die Redensart: „Die Juden machen es klug, die kommen zu etwas; so muß man’s auch machen.“ Die Juden sind heute für die Mehrzahl der Menschen das beneidenswerthe Muster. Wenn der Antisemitismus erst einmal einen wirklich großen durchschlagenden Erfolg d. h. ein positives – möglichst ein klingendes Resultat zu verzeichnen hat, wird auch alle Welt – aus bester Ueberzeugung! – antisemitisch werden. –

[ . . . ] „Profit“ muß sein! – sonst beist keiner am Antisemitismus an. (Liefern doch die meisten heutigen Vordergefechtsantisemiten selbst den Beweis dafür; sie würden nicht halb so lärmen, wenn sie nicht dabei verdienen wollten; – sie sind „Geschäfts-Antisemiten“. –

Nun aber, lieber Herr Marr, kommt das große Problem: Zu verschenken haben wir nichts; wie können wir allen geben, ohne Jemandem zu nehmen? Wenn Sie das erfinden, so ist die Judenfrage gelöst, eher nicht. – Und, bei Gott, ich glaube „Heureka!“ rufen zu dürfen. Ich trage mich seit längerer Zeit mit einem Plane – nebenbeigesagt von großer Einfachheit – von dem ich mir das Erhoffte verspreche. Die Quintessenz der Sache ist natürlich: die Isolierung der Juden aber nicht durch platonische Principien, sondern durch practische Thatsachen.

Ich will Ihnen vor der Hand nichts davon verrathen, denn – ich bin etwas abergläubisch! – Mir scheint es immer, als ob man die Kraft zur That einbüße, wenn man eine Idee in Worten ausgiebt.

Im Uebrigen gehöre ich in Judensachen zu den „Radikalissimi“. Ich betrachte es als kein Unglück, wenn man „mit roher Volksgewalt“ den „Blutegeln Salz auf den Schwanz“ streut. Ich habe aber nichts dagegen, daß man in der Presse über solche Vorkommnisse einiges Bedauern – heuchelt [sic]. Es giebt Rücksichten, weil es Missverständnisse giebt.

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