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Gustav Freytag über das durch den Sieg über Frankreich gefällte moralische Urteil (1887)

Gustav Freytag (1816-1895) gehörte im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts zu den führenden deutschen Journalisten, Romanautoren und politischen Publizisten. Aufgezogen in einer großbürgerlichen preußischen Familie, arbeitete er viele Jahre als Herausgeber des Grenzboten (Leipzig). Im Februar 1867 wurde er als nationalliberaler Abgeordneter in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt. Während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 fungierte er als Korrespondent im Hauptquartier des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Der folgende Auszug stammt aus Freytags Autobiografie, die 1887 veröffentlicht wurde. Er spiegelt die Euphorie in nationalliberalen Kreisen wider, mit der sie die Gründung des Deutschen Reiches feierten. Freytag legt nahe, dass der Krieg ein Kampf zwischen konkurrierenden Idealen gewesen sei: Sein höherer sittlicher Zweck – die Niederlage des „schuldigen“ Frankreich – rechtfertige die Menschenopfer auf dem Schlachtfeld. Den Krieg deutete er als einen Akt göttlicher Vorsehung.

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Es gab nie einen Kampf mit größerem idealen Inhalt, als diesen letzten; vielleicht niemals schlug die Nemesis so erschütternd die Schuldigen zu Boden; [ . . . ] vielleicht nie erschien das Walten göttlicher Vorsehung in Zuteilung von Lohn und Strafen so menschlich gerecht und verständlich, als diesmal. Solche Poesie des geschichtlichen Verlaufs wurde von Hunderttausenden genossen, sie war aus zahllosen Feldbriefen einfacher Soldaten zu erkennen.



Quelle: Gustav Freytag, Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, Serie II, Bd. 8. Leipzig: Hirzel, n.d., S. 674-75.

Originaltext aus Freytags Autobiografie (1887) abgedruckt in Peter Sprengel, „Der Liberalismus auf dem Weg ins ‚Neue Reich‘: Gustav Freytag und die Seinen 1866-1871“, in Klaus Amann und Karl Wagner, Hg., Literatur und Nation. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 in der deutschsprachigen Literatur. Wien, Köln und Weimar 1996, S. 153-181, hier S. 170.

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